Thomas C. Breuer: Sekt in der Wasserleitung

„Unsere Generation steht nicht ganz mit leeren Händen da. Was uns geblieben ist? Von Woodstock die Drogengesetze, von Ulrike Meinhof die Rasterfahndung, von Flower Power Fleurop, von San Francisco ein Merianheft, von John Lennon eine Jugendwohlfahrtsmarke und vom genialen Gitarrenriff von Steamhammers Junior´s Wailing ein Werbespot für Rothändle.“

Zu diesem vorläufigen Fazit kommt Thomas C. Breuer bei einer Tasse Kaffee während einer Zwischenlandung im Flughafenrestaurant von Reykjavik. Mitten im grauen Nordatlantik gelegen, im Niemandsland zwischen europäischem Muff und amerikanischer Verheißung, ist Reykjavik beileibe nicht der schlechteste Ort, um sich nochmals die Zeit vor Augen zu halten, die im Nachhinein, wenn die Zipperlein und die Midlife-Crisis einsetzen, als die besten Jahre in der eigenen Biographie verkärt wird: Unbeschwerte Kindheit, unbekümmerte Jugend und dann natürlich der Sprung ins Erwachsenenleben.

Diese verklärte Sicht der Dinge setzt jedoch ein gehöriges Maß an Senilität voraus, das Thomas C. Breuer vermissen läßt, wenn er seine Geschichten aus den Sechzigern und Siebzigern erzählt. Damals war es auch nicht besser gewesen, „es war nur anders.“ Anders als heute war vor allem der Einzug der Welt in die Provinz, in der Breuer lebte.

Und die Welt kam in Form von Beatles und Stones auch in die trostlosesten Winkel von Adenauers und Peter Alexanders Deutschland. Die Frage, die Breuer zu dieser Zeit beschäftigte, war schlicht und ergreifend die, ob sich Johnpaulgeorgeundringo ins Ausflugslokal seiner Eltern an der Lahn verirren würden.

Sie taten es nicht, aber ein paar Jahre später, an Adenauers Todestag traten die lokalen Fußballgrößen in einem Freundschaftsspiel gegen eine Auswahl der jamaikanischen Nationalelf an, die eine quirlige Mischung aus Maskottchen, Teamarzt und Betreuer im Gepäck hatte: Bob Marley. Und spätestens mit den ersten Rastas auf dem Oberwerth war es um die Moral der Jugend und der Beschaulichkeit in der Provinz vorbei. Was folgte läßt sich zwar nicht auf die Schlagwörter Generationskonflikt, Hippimentalität und Selbstverwirklichung durch Alkoholgenuß reduzieren, es zeichnet jedoch den Weg vor, den die Jugend einschlug:

„Ein wilder Kerl spielte alle Orgelsoli von Keith Emerson naturgetreu auf den Tasten des Zigarettenautomaten nach (…) und im Zwielicht des Larifari konnten wir uns ungestört alles andrehen lassen, was wir in unserer Ungeduld für Haschisch hielten: Schuhcreme, seltene Versteinerungen, Curry , Baumrinden, was auch immer. Die Konsumierung dieser Artikel mündete meist in denkwürdige Dialoge: „Merkste schon wat?“ „Nit direkt!“

Aber auch damals war nicht alles Shit was stinkt. Das merkte auch Breuer, der zu diesem Zeitpunkt zwar nicht das Abitur, dafür aber den Sprung aus der Provinz in die Provinzhauptstadt geschafft hatte. Allerdings zeigte sich auch schon bald, daß die hippirelaxte Unbekümmertheit gepaart war mit den üblichen spätpubertären Poblemen wie Liebesleid und chronischem Geldmangel. Beides führte unweigerlich in den Blues, in den Alkohol – und in WGs.

Überdauert hat nicht viel, von dieser Mentalität, außer den Bioläden. Und auf dem Wohnungssektor geht der Trend in den Neunzigern eindeutig zu NHs, Normalen Haushalten. Breuer rettete immerhin seinen Humor und die Fähigkeit, die zu spät in die Provinz ausgelieferte rosa Flower-Power Brille auszuziehen und den Blick auf die täglichen Grabenkämpfe und den Beziehungsterror zu lenken, die den Alltag bestimmten. „Wenn ich mir heute die Fotos von früher betrachte, denke ich, daß ich diese alte Armeejacke nicht zum Spaß trug. (…) Ich gab mir einen kämpferischen Anstrich, während ich innerlich auseinanderkrachte. Nur der solide Stoff der Jacke hielt mich zusammen.“ Doch daneben gab es schließlich auch Lichtblicke wie den Zwischenfall im Leitungssystem einer trierer Sektkellerei, der zur Folge hatte, daß eine halbe Stunde lang Sekt aus der Wasserleitung floß.

Diese und andere Ereignisse gehen Thomas C. Breuer durch den Kopf, während er in der Reykjaviker Flughafenkantine an seinem Kaffee nippt. Ein mehrstündiger verordneter Zwangsaufenthalt in einer Flughafenkantine, die wie ein preßspahngewordenes Foto aus dem Ikea-Katalog wirkt, animiert wohl dazu, die Gedanken in die Vergangenheit schweifen zu lassen. So ist es mir 1994 auch gegangen, als mich die Fluggesellschaft beim Zwischenstop nach New York in Reykjavik verklappt hat. Aber man muß wohl Thomas C. Breuer sein, um aus diesem Gemisch von Gedankenfetzen, Reminiszenzen, Zoten und Anektdoten, ein Buch machen zu können, das die Stimmung vergangener Tage, so treffend einfängt, wie es „Sekt in der Wasserleitung“ tut.

Statt der erwartbaren larmoyanten Vergangenheitsbewältigung eines Althippis (Damals war alles besser und ich war dabei!) erzählt Thomas C. Breuer mit einem Augenzwinkern und einem Hauch Melancholie zwischen den Zeilen (pseudo-)biographische Geschichten vom Leben in der deutschen Provinz der sechziger und siebziger Jahre. „Sekt in der Wasserleitung“ läßt einen nachgrübeln, ob das Leben wirklich nur in den Metropolen stattfindet. „Großstädte sind schließlich nichts anderes als die Summe von Provinz.“

Thomas C. Breuer
SEKT IN DER WASSERLEITUNG
MaroVerlag
ISBN 3-87512-234-8

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