Frl. Katjas Nähkästchen, Folge 14

Ich dachte ja immer, meine Kolumne hätte in erster Linie was Selbst-Therapeutisches, also, damit ich nicht irre an mir selbst werde. In Zukunft wird es sich wahrscheinlich mehr und mehr um einen Backstage-Report handeln. Das Interessanteste ist ja, was hinter den Kulissen passiert. Was das Publikum gar nicht mitkriegt. Immer öfter wünsch ich mir, ich selbst würde es auch nicht mitkriegen.

Aber von vorn: Um mal kennenzulernen, wie sich das anfühlt, für einen Artikel Geld zu kriegen, hab ich bei der hiesigen Tageszeitung angeheuert, deren Namen ich jetzt nicht nenne. In der Feuilleton-Redaktion. Hab schließlich Literatur- und Musikwissenschaft studiert, da geht man nicht zum Sport. Oder zur Seite „Stadtverband – Vereine aktuell“. Kein Witz, die gibt´s. Nein, man geht zur Kultur und freut sich, freche Pamphlete über den Sloterdijk-Habermas-Streit schreiben zu dürfen und böse Leserbriefe vom Konzertveranstalter zu provozieren, wenn man den Gig einer Pink-Floyd-Cover-Band verreißt. Pink-Floyd-Cover-Band… Aus der Reihe: Dinge, die die Welt nicht braucht. Das Original ist ja schon unerträglich genug. Aber dann noch so´n Phantom auf der Bühne. Hilfe!

Nein, dann doch lieber zu Rockbitch. Diese nackten Mädels, die sich on stage Gegenstände in die Vagina stecken. Ich glaub, auch Tiere. Und sich gegenseitig in den Mund pissen. Naja, das haben sie hier, in dieser Stadt, aus der ich jetzt schreibe, nicht gemacht. Polizeiliche Auflagen… Das sind mir schöne Schlampen, die sich von sowas beeindrucken lassen. Aber irgendwie müssen die wohl auch ihr Geld verdienen. Kommt nunmal nicht viel in die Kasse, wenn ständig Auftritte verboten werden, weil man so toll skandalös ist. Aber glaubt mir, die bereits erwähnten Rockbitch-Sperenzchen hätten immer noch zehnmal mehr Substanz gehabt als die Pink-Floyd-Cover-Band. Ich werd schon wieder ganz müde, wenn ich nur dran denk. Ach übrigens, das berühmte goldene Kondom haben Rockbitch leider auch nicht in die Menge geworfen. Das hätte den Empfänger zu einem Backstage-Erlebnis ganz besonderer Art berechtigt…

Naja, also, Rockbitch halt. Ich selbst kannte die ja gar nicht. Bis ein Kommilitone in der SR-Kantine erzählte, dass er da hingeht. Und dass das mehr was für Männer sei, weil (s. o.). Freigegeben erst ab 18 und so. Bei dem Punkt wußte dann selbst mein Bruder sofort wieder, wer Rockbitch sind. (Hatte mit ihm telefoniert und gefragt, ob er die kennt.) Das Ende vom Lied war dann, dass besagter Kommilitone gar nicht auf dem Konzert war, weil er dachte, geht eh keiner mit, den er kennt. Weil er die Mitteilung der zum Rockbitch-Konzert beorderten Zeitungs-Kritikerin, die mit ihm studiert hat, nicht mehr rechtzeitig auf seinem Anrufbeantworter abhörte. Die Kritikerin hat sich dann aus Gründen der eigenen Sicherheit ihren Freund mitgenommen. War aber alles halb so wild.

Schön war allerdings, dass die gleiche Kritikerin nachmittags noch einen Termin beim Orchesterwettbewerb Saar hatte. Sicher einer der seltsamsten Tage ihres Lebens. Nachmittags zwei Zitherensembles, abends Rockbitch! Davon erzählt sie noch ihren Enkeln.

Vielleicht erzähl ich ihnen auch von heute. Wenn ich mich wieder beruhigt habe. Denn dieselbe Tageszeitung, die so gute Konzertkritiker hat, macht diesen manchmal das Leben auch ganz schön schwer. Gegen Geld allerdings, das wollen wir hier nicht vergessen.

Eine Woche lange durfte ich mich also freuen, morgen zum Auftritt von Jürgen von der Lippe zu gehen. Klasse, der war vor zwanzig Jahren zwar noch besser, aber ich seh ihn sehr gern im Fernsehen, und warum eigentlich nicht. Außerdem ist das in der Kongreßhalle, dacht ich mir, also bestuhlt, mit Rauchverbot und pünktlichem Beginn. Nicht wie die Rockkonzerte in der sogenannten „Garage“, wo ich mir die Beine in den schmerzenden Rücken stehe, trotz Ohrenschutz morgens nen dicken Kopf hab, nach Qualm stinke, immer schauen muß, dass ich gut seh, und die Hauptband selten vor halb zehn anfängt zu spielen. Man weißes aber nie so genau, muß also schon halbwegs pünktlich kommen. Da lob ich mir Heinz Rudolf Kunze, der hat Schlag Viertel nach acht angefangen zu spielen. Der ist ja auch kein Punk, sondern ein Deutschrocker. Die können die Uhr lesen. Sogar mit Zeigern.

Soweit also die Welt noch in Ordnung. Morgen abend, Jürgen von der Lippe, Kongreßhalle, dum di dum. Außerdem wollte mein Freund mitkommen, was ja auch eher selten der Fall ist. Weil, solche Schmankerl krieg ich nicht oft. Zumal bestuhlt und mit Rauchverbot. Da hätt ich ihm mal richtig was bieten können, dacht ich. Wo schon das Büffet nach der Waechter-Lesung am Samstag nicht so toll war. Schlechter Catering-Service. Als Abschluß eines Symposiums zum Thema „Agressionsmanagement bei Kindern und Jugendlichen“. Und glaubt mir, ich hab die Teilnehmer der Vorträge gesehen, seitdem weiß ich: Psychologen können nicht nur keine Schleifen, sondern sie ertragen auch keine klackernden Absätze. Nie hab ich soviele von diesen Schuhen zum Reinschlüpfen mit den superhohen und superdicken, schwarzen Gummisohlen gesehen. Mit diesem leichten Schwung in der Mitte der Sohle. Sehen ein bißchen klobig aus. Buffalos für Erwachsene. Oder? Sind jedenfalls zur Zeit schwer angesagt, Bettina Böttinger trägt die auch. Bei der sehen sie aus wie Turnschuhe. Ich hab bei dem Symposium aber auch welche gesehen, da war die Sohle geschnitten wie ein Cowboy-Stiefel. Vorne spitz zulaufend und sich nach oben reckend. Mann, sah das Scheiße aus. Und es war bestimmt kein Zufall, dass soviele dieser Psychologen die Dinger trugen. Damit können sie sich besser an die Patienten ranschleichen. Oder während der Analyse rausschleichen und eine Rauchen gehn, wenn die Kindheitserinnerungen der Patienten zu langweilig sind. Die sehn das ja nicht. Die liegen auf der Couch, starren an die Decke und denken, hinter der Rückenlehne des riesigen Sessels, da wird schon jemand sitzen. Im besten Fall sogar der Therapeut… Oder die Psychologen haben eine kollektive Absatz-Klacker-Phobie. Das ist der Horror, die eigenen Schritte zu hören. Und mit diesen weichen Megasohlen geht man wie auf Samtpfoten. Ich weiß, wie das ist. Hab neulich auchmal so Dinger im Geschäft anprobiert. Aber normale Menschen halten das nicht lange aus.

Am Rande des Symposiums hab ich übrigens, es klang schon an, Friedrich Karl Waechter interviewt. Den von Titanic, Pardon, Welt im Spiegel und Twen. Diesen Cartoonisten. Mit diesen langen, wallenden blonden Locken. Sieht ein bißchen aus wie Langhans, isses aber gottseidank nicht. Hat den Anti-Struwwelpeter gemacht. Aber noch viel wichtiger: ein Werk, das spätere Zeitungskritiker schwer beeinflußt hat. Nämlich „Wir können noch viel zusammen machen“. Wo ein Schwein fliegen lernt, ein Fisch laufen und ein Vogel schwimmen. Inge, Harald und Philip. Hatte ich schon, da war ich noch nichtmal im Kindergarten. Ist mein liebstes Kinderbuch, les ich heut noch gern. Sieht auch entsprechend aus. Wie schlimm, das hab ich festgestellt, als ichs FK Waechter gezeigt hab. Der hat es erst gar nicht wiedererkannt, sondern sorgenvoll in der Hand hin und her gewogen, ein bißchen geblättert, gefragt, wo ich das herhab und verzweifelt gesucht, welche Ausgabe das ist. Denn es gibt irgendeine Neuauflage, deren Aufmachung ihm gar nicht behagt. Aber schließlich konnte ich ihm erklären, dass das Buch vor 25 Jahren durchaus mal einen Einband hatte und nicht immer schon so zerfleddert und vollgekritzelt war. Endlich fiel der Groschen: Ach so, dieses Buch wurde gelesen! Da hat er sich gefreut. Später hat er mir sogar die Fahne seines nächsten Werks vorab zu lesen gegeben. Da hab ich mich gefreut.

Ja, so war das. A propos, noch ein Wort zu den Lesungen. Und zu Theater-Aufführungen. Eben alles, wo es leise ist. Alles, was nicht Beethoven- oder Rockkonzerte sind. Da ist es, laßt euch dies von einer erfahrenen Konzertkritikerin sagen, ratsam, vorher anständig gefrühstückt zu haben. Denn nichts ist schlimmer als ein knurrender Magen, wenn alles ringsumher angestrengt lauscht. Ist mir bei Dietrich Schwanitz, dem Autor des „Campus“, passiert. Mann, war das peinlich. Das einzig Beruhigende ist immer, dass es der „Künstler“ selbst nicht mitbekommt, weil der zu weit weg sitzt.

Neulich war ich bei einer Einführungs-Matinee in der Feuerwache. Wieder nix gegessen gehabt. Diesmal hat mein Magen allerdings so laut geknurrt, dass ein besonders konzentriert lauschender Kleiderschrank von einem Mann schräg vor mir zusammengezuckt ist! Das fand ich klasse. Nie hab ich mich so stark gefühlt. Ich schaffe es mit bloßem Magenknurren, einen Drei-Zentner-Mann zu erschrecken. Wow! Da war ich mit meinem Magen wieder versöhnt.

Aber eigentlich robbe ich ja immer noch auf meine eigentliche Pointe zu. Das Jürgen-von-der-Lippe-Konzert, hätt ich fast gesagt. Obwohl das ja mehr Comedy ist. Nun, leider hat meine Zeitung eine ganze Woche gebraucht, um festzustellen, dass der Mann mit einem alten Programm tourt, das lange schon journalistisch abgewickelt ist. Ehrlich gesagt, hab ich noch mehr das Gefühl, dass die Zeitung das schon länger weiß und nur eine ganze Woche gebraucht hat, um es mir zu sagen. Die Sekretärin rief nämlich eigentlich nur noch wegen des Ersatz-Termins an, ich bräuchte nicht traurig zu sein, ich dürfte statt dessen woanders hin. Statt wessen? „Ach, hat man Ihnen das noch nicht gesagt?“ Nein, und ehrlich gesagt, wünschte ich auch den Rest nie gehört zu haben. Denn seit Wochen betrachte ich mit Argwohn den Konzertplan der „Garage“, auf dem für morgen Abend das nackte Grauen angekündigt ist: Knorkator! Seit Wochen erbebe ich innerlich bei jedem Telefonklingeln, wann er mich wohl ereilt, der Knorkator-Auftrag. Und stelle neulich hocherfreut fest, dass mir gar nix mehr passieren kann, weil ich mir am selben Abend was ganz anderes, und noch dazu was Angenehmes reinziehen darf. Und jetzt das!

Kann man sich das vorstellen? Statt es mir morgen vor meinem Fernseher gemütlich zu machen, ein gutes Buch zu lesen oder einfach nur in ein schwarzes Loch zu fallen, weil ich nicht zu Jürgen von der Lippe darf, werde ich mir in der stinkigen „Garage“ die Beine zu den zermürbenden Klängen von Knorkator in den schmerzenden Rücken stehen. Und meine Ohrenstöpsel noch tiefer reindrücken als sonst. Toll! „Ja, ich kann Ihre Enttäuschung verstehen, Frau Preißner. Kann ich mir vorstellen, dass das nicht das Gleiche ist. Aber vielleicht wird’s ja auch ein bißchen interessanter.“ „Eher ein bißchen unerträglicher.“ Worauf die Sekretärin tatsächlich: „Oh, wirklich? Na, dann werd ich ihren Artikel dazu auf jeden Fall lesen. Das will ich dann aber doch wissen, was das ist.“ Ach, gute Frau, lesen Sie doch einfach meinen CD-Verriß vom Sommer, nur Subway to Sally waren noch schlimmer. Aber na gut. Ich brauch das Geld. We´re only in it for the money.

Mein Freund weiß noch gar nichts von seinem Glück. Der hat heute morgen nur mal kurz gefragt, warum ich letzte Nacht so schrecklich mit den Zähnen geknirscht hab. Das ist meine letzte Chance: vielleicht hab ich ja alles nur geträumt? Das würde auch das Zähneknirschen erklären. Rackrack.

Epilog. Eigentlich ist mir nach dem oben Geschilderten nicht nach Scherzen. Aber ein paar TV-Impressionen muß ich doch noch loswerden. Dr. Zapp hat, glaub ich, noch Urlaub. Also mach ich das jetzt. Geht ganz schnell, sind nur ein paar sprachliche Klöpse.

Kennt Ihr meine Lieblingswerbung auf MTV? Vor einem Vierteljahrundert schickten sich ein paar Bands an, die Rockmusik auf den Kopf zu stellen. Oder besser: ihr die Power, das letzte Fünkchen Leben auszutreiben. Irgendwie so halt. Sinngemäß müßte es jedenfalls wahrheitsgemäß so heißen. Is ne Werbung für einen 60er Jahre-Sampler, ne 5-CD-Box oder so. Mein Lieblingssatz ist nun der folgende: „Sie könnten ins Extrem gehen, um den Sound dieser Ära wiederzubekommen.“ Soll was heißen? Sie könnten sich mit Drogen vollpumpen? Sie könnten in einen Plattenladen einbrechen? Und dort töten, um an die Alben der Künstler billiger ranzukommen? Who knows.

Who knows auch, was sich der Mitarbeiter einer Trickfilmfirma dachte, als er im ZDF-(Hallooooooo!)-Mittagsmagazin das Expo-Maskottchen Wimbsy (oder so ähnlich) folgendermaßen anpries: „Also, für mich hat diese Figur etwas sehr Integratives. Nicht ohne Grund trägt sie einen männlichen und einen weiblichen Schuh.“ Sehr schön, ja. Vor allem wissen wir alle, wie integrativ hierzulande das Tragen eines männlichen und eines weiblichen Schuhs wirkt. Vor allem in Kombination mit einer raffiniert geschnittenen Zwangsjacke.

Mein Favorit ist aber eindeutig ein Satz (oder zumindest der Versuch) von Jürgen Fliege, gesprochen im Trailer zur Sendung „Die Liebe hat mich alles gekostet“: „Bei mir sind heute vier Menschen zu Gast. Die Liebe hat ihnen alles gekostet.“ Diagnose: Hals gebrochen beim Pluralisieren eines Reflexivpronomens. Ziemlich seltene Angelegenheit. Das Ding leg ich in Spiritus ein und komm damit beim Kongreß der Grammatik-Pathologen ganz groß raus!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert