Live: Godspeed You Black Emperor!

Esch-Alzette (Luxemburg), Kulturfabrik. 16.04.2002

Die wichtigste Nachricht vorweg: Die Kulturfabrik in Esch-Alzette hat ihre Pforten wieder geöffnet. Nachdem es Streit mit Anwohnern und Ordnungshütern gab und eine Zwangspause zwecks Renovierung und Beseitigen der Missstände eingehalten werden musste, ist seit Anfang April ein geregelter Spielbetrieb garantiert.

Die Rückkehr zur Normalität wurde mit einer Stippvisite der kanadischen Band Godspeed You Black Empereror! gefeiert. Zuvor hatte das Tüftler-Duo Stereopheric Gelegenheit, mit warmen und abstrakten Elektronik-Sounds die Menge in Stimmung zu versetzen. Während auf die Leinwand die Schwarzweiß-Romanze „Love Affair“ (aus dem Jahr 1939) projiziert wurde (erst in doppelter, dann in dreifacher Geschwindigkeit), knieten die beiden Protagonisten auf dem Boden, tief über ihr Equipment gebeugt und hantierten herum, um den Geräten die von ihnen gewünschten Töne – Knister-Sound unterlegt mit Beat-Skeletten – zu entlocken. Am Ende wusste das Publikum nicht, ob die Stille noch dazu gehörte oder nicht und wartete mit dem Klatschen bis sich einer der beiden erhob und verbeugte.

Die Umbaupause war kurz. Das neunköpfige Kollektiv aus Montreal betrat die Bühne, nahm Platz – vier von ihnen saßen am vorderen Bühnenrand auf Stühlen – stimmte unisono die Instrumente und ging kurz in sich. Dann legten sie bedächtig und zart los. So behutsam und leise, dass selbst das Quietschen eines WahWah-Pedals zu vernehmen war. Knisternde Atmosphäre, die bald darauf von einem infernalischen Klanggewitter verdrängt wurde. Das bekannte Laut-leise-Spielchen konnte also losgehen.

Zwei Schlagzeuger (inklusive Percussions und Glockenspiel), zwei Bassisten (einer mit Violinenbogen), drei Gitarristen (auch wieder einer mit Bogen), eine Cellistin und eine Geigerin sorgten weit über zwei Stunden lang für eine bitternötige Reinwaschung der Seele -ihrer und unserer.

Der in der Mitte der Bühne positionierte Gitarist (rote Haare, Mütze) lockte mit dem Bogen die seltsamsten Töne aus der elektrischen Gitarre. Immer wieder trat er mit seinen blanken und vor Dreck pechschwarzen Füßen auf die unzähligen Effektgeräte vor ihm. Sobald die Band in einem Spielrausch gefangen war und vom Crescendo in einen kathartischen Lärm überging, hockte er mit geschlossenen Beinen und Augen gebückt auf seinem Stuhl und pendelte wie ein kleiner Wicht ganz schnell von rechts nach links hin und her. In diesen Momenten waren GYBE! den Kaliforniern Neurosis und den Finnen Sigur Ros näher als den Schotten Mogwai. Aber ohne Gesang wohlgemerkt. Es war schlichtweg faszinierend.

War besagter Gitarrist für die hohen Töne verantwortlich, widmeten sich die verbliebenen Gitarrenspieler den stark verzerrten, lauten Tönen und dem Rhythmusgerüst. Im Hintergrund flimmerten morbide und düstere Filmsequenzen, die mit der Musik zu eine Ganzen verschmolzen. Insbesondere die vom Nebel verhangenen und vom Wind umwehten Wolkenkratzerspitzen fügten sich in das fesselnde Klangbild bestens ein.

Das Verständnis unter den neun MusikerInnen schien blind zu sein. Selten erkannte man ein bestimmendes Nicken, eine Geste, die den folgenden Ausbruch oder die Einkehr von Stille andeutete. s war – so blöd es klingt – der melodischste Krach, den mir seit langem untergekommen ist. Oft wird von der reinwaschenden Funktion von Musik gesprochen, selten wurde es so gut vorexerziert und auf den Punkt gebracht wie an diesem Abend. Nächstes Mal vielleicht nicht mehr ganz so lang und in einem bestuhlten Saal. Denn das Vorgetragene kostete Kraft.

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