Jack: The Jazz Age

Nur ein Gedankenspiel: man stelle sich mal vor, die Smiths zögen in den Buckingham Palace ein – die wären sicher die längste Zeit in labbrigen Jackets und Flanellhemden rumgelaufen! Fortan trügen sie nur noch Zobel, feinsten Damast und Brüsseler Spitze, ihre goldenen Schnabelschuhe hätten diamantbesetzte Bommel, und statt Zwieback im Stehen gäbs goldbestäubte Ham and Eggs, serviert von livrierten Dienern… So ungefähr, nämlich wie eine Independent-Combo mit königlichem Habitus, klingen Jack auf ihrem Zweitling „The Jazz Age“. Cineasten würden sagen: „Großes Kino“ – wie aber nennt man ein opulentes Gitarren-plus-Streicher-Meisterwerk der Popmusik? Egal, dieses Album ist eines von denen, für die man ruhig mal einen Flieger stehenlassen oder die eigene Hochzeit verpassen kann: really gorgious, simply irresistible!!!

Britpop und Streicher – das hatten wir doch schon, werden jetzt viele sagen. Ja okay, aber Jack sind zehnmal blaublütiger als The Verve! Hier sind wirkliche Schöngeister am Werk: Trapezkünstler auf dem schmalen Grat zwischen der erdrückenden Schwere symphonischer Werke und der Leichtigkeit des Pops – ja, selbst den Biß echter Rockmusik haben sie sich bewahrt!
In aller Regel kann man die beigelegten marktschreierischen „Waschzettel“ der Plattenfirmen (Jack gelten übrigens als „normalste Band“ des Labels Too Pure…!) gleich ungelesen in den Müll schmeißen, aber vereinzelt halten die Werke tatsächlich, was die Werbung verspricht: „wo andere Bands sich damit begnügen, gute Platten zu machen, schaffen Jack großartige Kunst mit erstaunlicher Tiefe (Jack selbst bezeichnen ihr Opus als beautiful stories for ugly children): episch-poetisch, minutiös arrangiert, intim und rockig mit einem Schuß Glam“ – und das ohne aufgesetzte Dekadenz oder irgendwelche betont beiläufigen Bohème-Attitüden!

Dennoch läßt sich das komplette Album nicht über einen Kamm scheren. „Klotzen, nicht kleckern“ ist vor allem die Devise des brillanten Openers „3am in the morning“ mit seinem himmlischen Streicher-Intro (Schwelg…). Der Songtitel ist Programm: Jack neigen eindeutig zur Melancholie und verlieren sich des öfteren auf angenehmste Art und Weise im Fluß ohne Wiederkehr. Ein düsterer Unterton bleibt immer, obwohl sie auch richtig stompig aufdrehen können! Am besten aber können sie schaurig-schöne Geschichten erzählen, perfekt intoniert von Sänger Anthony Reynolds (verschärfter Gänsehautfaktor!) und unterlegt von countryesk fließenden oder folkig perlenden Gitarrenharmonien: ein bißchen College-Romantik, kombiniert mit schmelzenden Streicherarrangements. Von der Slowmotion-Ballade bis hin zum Feger mit richtig viel Drive. Und dann diese Melodien…

Nicht zuletzt muß die spielerische Experimentierfreudigkeit der Jacks honoriert werden. Bei fast jedem Song gibt es was zu entdecken, denn ihre epische Breite resultiert nicht zuletzt aus einem ausgeprägten Sinn für liebevolle Details – sei es ein vorangestelltes Rauschen im Kanal, filigrane Synthie-Tupfer oder zirpende Gitarren-Tremoli.

Und noch eine Anmerkung am Rande: ist es nicht lustig, daß eine einst als Bordellmusik verpönte Stilrichtung, deren Name purer schweißtreibender Sex entströmte, mittlerweile zum Chiffre für klassische Eleganz avanciert ist?!! Ich spreche vom Jazz, dessen Schönheit ich gar nicht bestreiten will – aber witzig ist es doch…

Mögen sich auch immer mal wieder Menschen (vorzugsweise Anglo-Amerikaner) über den Anspruch vieler Engländer beschweren, die meinten, sie kämen aus Pophausen schlechthin – aber wer will es bestreiten?!! Für „The Jazz Age“ verdienen Jack mindestens den großen MBE am Bande in Gold!

Jack: The Jazz Age
(Too Pure/Rough Trade)

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