CD-Kritik Zur Startseite

Meret Becker

Nachtmahr

(Philips Classics, 538082-2)

 
Hat Meret auf ihrer ersten CD "Noctambule" noch überwiegend Interpretationen von Hollaender-Liedern, Brecht-Chansons und traditionellem Liedgut geliefert, handelt es sich bei "Nachtmahr" um ihre erste selbstkomponierte CD. Bei den Texten nahm die 29jährige Anleihen bei Erich Kästner ("Traum vom Gesichtertausch"), Gottfried Keller ("Ballade vom kleinen Meretlein") und Lewis Caroll ("Geistgestört"), alles andere stammt aus ihrer Feder. Und wie der Titel schon vorwegnimmt, kreist das zentrale Thema des Albums um Zustände, bei denen Wirklichkeit und Unwirklichkeit verschmelzen, Alpträume, Gespenstisches, fantastische Assoziationen.

Zwar läßt Meret keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie ein bewegtes Innenleben führt, aber bei der musikalischen Ausgestaltung ihrer Traumgeschichten hapert es zuweilen. Die singende Säge und leiernden Kirmesorgelklänge - Merets unverzichtbare Utensilien bei der Umsetzung von schwummeriger Traumatmo - nerven nach einigem Hören genauso wie diese Kleinmädchenstimme, mit der sie ihre Texte vorzugsweise wiedergibt. Der Song "Prise de Tête" überrascht dann auch positiv: Meret skizziert mit fester dunkler Stimme in französischer Sprache eine nächtliche Momentaufnahme. Aha! Sie kann es also noch.

Interessant auch die gesangliche Darbietung in "Bobinke". Keine Ahnung, ob es richtiges Jiddisch ist, was Meret da singt, aber in jedem Fall steigert sie sich zu rotzig-frechen Höhen; das Ganze hat echten Drive. In der folgenden "Ballade vom kleinen Meretlein" ist übrigens Otto Sander als Sprecher der Auszüge aus dem Roman "Der grüne Heinrich" von Gottfried Keller zu hören.

Die übrigen Stücke der CD konnten mich nicht mehr fesseln. Leider. Es entstand eher der Eindruck, daß sich alles wiederholt, Merets oft farblose Stimme sich mit dem nicht sonderlich variablen musikalischen Hintergrund vermischt und alles ineinanderwabert. Vielleicht sollte Meret doch besser bei der Interpretation bleiben. Die Wandlungsfähigkeit, die sie auf ihrer ersten CD bewies, wird hier jedenfalls nicht erreicht. Dafür scheint Meret in punkto Fotoaufnahmen nichts zu wünschen übrig zu lassen: für das Plattencover mimt sie eine elisabethanische Lady. Ihre Autogrammkarten zeigen sie als japanische Geisha oder gestylt à la Audrey Hepburn. Und die Aufnahmen, die sie für den "Playboy" (mit dem weißen Knuffelhäschen von "Noctambule"!) gemacht hatte, waren ja auch ganz ... äh ... interessant.

Neben bereits bekannten Musikern des Debutalbums stand Meret hier wieder vor allem Alexander Hacke zur Seite. Er zeichnet auch als Produzent verantwortlich und singt mit Meret zusammen das (Liebes)-Lied "Im Bauch". Im Februar soll ja das Wunschkind der beiden zu Welt kommen. Ach ja: Und wo bei "Noctambule" noch das Fehlen eines ausführlicheren Booklets gerügt wurde, kann man sich bei "Nachtmahr" nicht über unterschlagenen Textabdruck nebst Linernotes beklagen: die äußere Aufmachung der CD ist recht kunstvoll.

(pa)

 

 

Cover Nachtmahr

Meret Becker

Noctambule

(Reihe Ego/Our Choice /Rough Trade) [7-96]

Das Multitalent Meret Becker legt mit "Noctambule" nun auch ihr Debüt als Gesangskünstlerin vor. Unterstützt wird sie hierbei von befreundeten Musikern und Musikerinnen und ihrem mittlerweile Ehemann Alexander Hacke, dem Gitarristen der Einstürzenden Neubauten. Diese wurden ja bereits vom "Spiegel" 1989 als der "als Edel-Avantgarde begehrteste Exportartikel deutscher Kultur" bezeichnet. Und deutsches Kulturgut ist auch auf der vorliegenden CD zu hören. Das Eröffnungsstück von "Noctambule" hat den passenden Titel "Schwarz" und trägt typische Merkmale der Musik der Einstürzenden Neubauten, zu düsteren Klängen klagt Meret eindringlich gegen das Verlassenwerden. Doch dann geht es schon gänzlich anders als erwartet weiter. Mit hörbarer Lust an der Liedgestaltung und flexibler Professionalität präsentiert Becker ihre Auswahl von Texten und Bearbeitungen: Märchen der Gebrüder Grimm, Texte von Friedrich Hollaender, Brecht-Chansons und Volkslieder. Die Arrangements der Stücke stammen alle von Meret Becker und Alexander Hacke. Die spärliche Instrumentierung steht ganz im Dienste der Textinterpretation, Meret gelingt ein ganz am Wesen des Liedes ausgerichteter sehr persönlicher Vortrag. Auch wenn sie berlinert, trifft die bebürtige Bremerin den Geist der Lieder.

Meret Becker wagt sich hier auch an Interpretationen von Brecht/Weill-Liedern. Und gerade die Chanson vom Elternmörder Apfelböck und Nanas Lied sind wohl die virtuosesten Interpretation, die Meret hier - ganz im Geiste der großen Sängerin und Schauspielerin Lotte Lenya - liefert. Ausklang der CD, die übrigens in der "Bar jeder Vernunft" im Oktober 1995 live aufgenommen wurde, sind zwei Instrumentalstücke der beteiligten Musiker und die beiden Volkslieder "Es saß ein klein wild Vögelein" und das Kinderlied "Gut' Abend, gute Nacht". Als einziges Manko der CD wäre das Fehlen eines ausführlicheren Booklets mit Textabdruck zu nennen.

(pa)

Cover Noctambule