Am Telefon: Nils Koppruch (Fink)

Fink-Interviews sind was Schönes. Kurzweilig, ergiebig und entspannt. Sie haben nur einen Nachteil: der Journalist trägt die Telefon-Gebühren. Und die laufen bei Freiberuflern auf der Privatrechnung auf. Immer heißt es „Du wirst von der Plattenfirma angerufen“, immer sieht die Praxis so aus: „Kannst Du zurückrufen? Wir sind grad unterwegs“ resp. „Ich bin noch zu Hause, das wird sonst zu teuer“. Für mich auch. Aber was tut man nicht alles als guter Fink-Fan…

Diesmal geht´s also ums vierte Album, dessen Titel oder Nicht-Titel noch zu klären sein wird. Das letzte Album des Hamburger Quartetts liegt zwei Jahre zurück, und vieles deutet darauf hin, dass das brillante „Mondscheiner“ nicht schon der Gipfel des Fink-Schaffens war. Beim neuen Album wurde wenig dem Zufall überlassen.

Hinternet: Die Farbe Eures Album-Covers – wurde die wirklich eigens für Euch gemischt?

Koppruch: Ja, aber bis jetzt ist es ein Rot, und nicht das Braun, das es eigentlich sein sollte. Die Farbe der Promo-CD ist falsch, die tatsächliche wird etwas dunkler.

Hinternet: Dieses Album mit der speziellen Farbe hat keinen Namen. Oder heißt das so wie Ihr?

Koppruch: Das heißt so wie wir. Es hat also quasi keinen Namen. Es heißt so wie wir.

Hinternet: Hat das was zu bedeuten? Namenlose Alben signalisieren oft, dass sie in den Augen ihrer Schöpfer einen besonderen Stellenwert einnehmen.

Koppruch: Nee, es hätte was zu bedeuten gehabt, wenn die Platte einen Titel gehabt hätte. Aber wir wollten dem kein Motto drüberstellen. Wir dachten, wenn man einen Titel rausgreift, wird es der Sache nicht gerecht, weil es von der Platte ablenkt. Und die sollte einfach für sich selbst sprechen.

Hinternet: Manches am neuen Fink-Album klingt nach Konzeptalbum. Könnt Ihr das unterschreiben?

Koppruch: Nee! Ein Konzeptalbum ist etwas, wo man sich vorher einen Plan macht, und der muss erfüllt werden. Darunter leidet dann meistens die ganze Platte, weil sich bestimmte Ideen dem Konzept so unterordnen müssen, dass das nicht funktioniert. In dem Sinne ist es kein Konzeptalbum… Angenommen, man schreibt ein Buch, dann ist die eine Möglichkeit, dass man tatsächlich ein Konzept hast, dem alles untergeordnet wird, oder man fängt an zu arbeiten, und es ergeben sich bestimmte Zwangsläufigkeiten, step by step: du machst den ersten Schritt, und dann machst du den zweiten Schritt – und so haben wir gearbeitet. Am Ende, als wir fertig waren, war´s ganz einfach, die Lieder auszuwählen, die wir auf die Platte nehmen wollten. Die Reihenfolge ergab sich ganz zwangsläufig – eine superschöne Erfahrung.

Hinternet: Irgendwie beruhigend, denn Konzeptalben sind meistens richtig eklig und eigentlich nur ´was für Leute wie Alan Parson oder Mike Oldfield. Aber der Eindruck wird eben durch die Texte unterstützt, die frappierend aufeinander aufbauen und alle ein gemeinsames Thema haben: der Weg, das Ich, seine Entwicklung…

Koppruch: Ja, deswegen war es auch so einfach, die Reihenfolge zusammenzustellen. Es war ganz einfach, zu sagen, dass „Die Richtung“ an den Anfang muss und „Wenn du mich suchst“ ans Ende – und dann guckst du, wie du das in der Mitte aufbaust. Aber das war nicht klar, bevor wir die Lieder geschrieben oder aufgenommen haben.

In Punkto Konzeptalbum-Abneigung haben wir schnell einen Konsens. Auch der Fink-Frontman findet Konzeptalben „eklig“. Am Rande einigen wir uns auf eine Ausnahme: „Sgt. Pepper“ von den Beatles.

Hinternet: Eine andere Auffälligkeit ist, dass ihr Euer Album selbst produziert habt. War es wichtig, dass Ihr ganz auf Euch allein gestellt wart?

Koppruck: Hhm, ja. Wenn man ins Studio geht, ist das relativ teuer – obwohl diese Platte nicht billiger war als die letzte. Aber wir haben über eine Strecke von einem halben Jahr daran gearbeitet.

Hinternet: Wie lange habt Ihr denn früher produziert?

Koppruch: Früher haben wir uns vorbereitet auf eine Produktion, geprobt, überlegt, wie wir´s machen wollen, und waren bei der letzten Platte rund zwei Wochen im Studio zum Aufnehmen und eine Woche zum Mischen.

Hinternet: Und jetzt habt ihr im Studio gleichzeitig geprobt und sich das entwickeln lassen?

Koppruch: Wir haben uns Anfang des letzten Jahres eine Bandmaschine gekauft und einen kleinen Kellerraum gemietet. Es gab also keinen Unterschied zwischen Proben und Aufnehmen. Wir haben da gesessen und musiziert, haben es mal mitgeschnitten, wieder verworfen und nochmal mitgeschnitten… Es war eine fließende Arbeit – nicht mit fertigen Dingen, sondern vieles ist dabei erst entwickelt und gleich aufgenommen worden.

Hinternet: Also war die Situation so geplant und kein Behelf, weil der Wunsch-Produzent grad nicht verfügbar war?

Koppruch: Ja, wir wollten das. Wir wollten eine neue Erfahrung machen. Und es gab vorher auch Sachen, die uns gestört haben. Wir setzen uns teilweise sehr extrem darüber auseinander, was wir machen wollen. Auch, weil wir den Anspruch haben, dass sich jeder gleichermaßen drin verwirklicht sieht. Es gab bei den anderen Platten immer Meinungsverschiedenheiten. Der eine sagt, „Das ist mein Lieblingslied – jenes mag ich eigentlich gar nicht, da hätte man ´was anders machen müssen.“ Und wenn noch ein Produzent dabei ist, der dann sagt, „Das ist doch gut so“, und er hat auch gute Argumente, und die Band sagt dann, „Ah ja, stimmt, wir haben jetzt auch schon ziemlich lange dran gearbeitet, dann lassen wir das einfach so“… Diesmal wollten wir keine Instanz dabeihaben, die außerhalb der Band steht, sondern alles, was entschieden wurde, mußte innerhalb der Band ausgekämpft werden.

Hinternet: Habt ihr das je bereut im Laufe dieses halben Jahres?

Koppruch: Ähm… (lacht), es war teilweise sehr schwierig. Wenn man den Anspruch hat, dass jeder Titel für alle gleich gut ist, kann auch ein ganz schlimmer Kompromiss dabei ´rauskommen. Und wenn man das im Auge behält, muss natürlich jeder sagen, was er will oder nicht – und warum nicht -, und dann muss man schon eine ganze Menge quatschen. Teilweise sahen unsere Übungsabende eher aus wie Trinkgelage, wo wir halt nur da gesessen und irgendwelche Anekdoten erzählt haben.

Hinternet: Ging es Euch auch um einen anderen Sound?

Koppruch: Ja, es ging uns auch um einen anderen Sound. Das lag sicherlich auch daran, dass wir die letzte Platte im Nachhinein zu unatmosphärisch fanden. Mehr will ich dazu gar nicht sagen. Aber wir wollten einen sehr warmen, sehr geschlossenen Sound, und ich glaub, das ist uns auch gelungen.

Hinternet: Definitiv. Mit Kritik am Vorgänger-Album „Mondscheiner“ bist Du bei mir allerdings an der falschen Adresse…

Koppruch: Ich sag ja nicht, dass es eine misslungene Platte ist. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Zeit im Studio limitiert ist. Von den Titeln der neuen Platte gibt es zum Teil drei oder vier Alternativversionen – die Zeit hat man ja im Studio überhaupt nicht… Wir haben grundsätzlich nichts dagegen, dass jemand unsere Alben produziert. Es gab ein Halbangebot von Kurt Wagner von Lambchop, das neue Album zu mischen, aber dann hätten wir es ganz aus der Hand geben müssen, ohne Einfluss nehmen zu können, und das Risiko war uns zu groß. Die meisten unserer Wunsch-Produzenten können wir gar nicht bezahlen, und die haben wahrscheinlich auch kein Interesse an so ´ner kleinen deutschen Band… Superschön würde ich es finden, wenn Joey Burns von Calexico zumindest mal einen Titel von uns produzieren würde, aber die sind ja ständig auf Tour…

Die Hinternet-Interviewerin traut sich was: sie kategorisiert das neue Album. Etwas, das Bands auf der ganzen Welt nicht leiden können: wenn man ihrer Musik einen Namen gibt, vielleicht gar nach konkreten Stilrichtungen sucht. Es könnte Lesern, die die Platte noch nicht kennen, die Orientierung erleichtern. Aber unter Musikern hat es in etwa den Stellenwert des christlichen Bilderverbots. „Du sollst Dir kein Bildnis machen…“ Ein Sakrileg.

Hinternet: Am „Mondscheiner“-Album muß sich das Nachfolge-Werk unwillkürlich messen lassen. Gerade, weil „Fink“ ganz anders, aber ebensolch ein Gigant geworden ist. Von der Stimmung her erinnert es an Euer erstes Album „Vogelbeobachtung im Winter“, ist ähnlich rauh und düster, und unterm Strich ein Folk-Album.

Koppruch: Hast du gut gehört. Als wir angefangen haben zu arbeiten, waren wir ziemlich weit weg von der ersten Platte. Die Titel sind auch fast in der Reihenfolge aufgenommen worden, wie sie auf der Platte drauf sind. Und am Ende wird sie ja sehr viel traditioneller. Ist ´ne Entwicklung, die bei der Arbeit passiert ist, keine Ahnung… Ich glaube, der größte Unterschied zum „Mondscheiner“ ist nicht so sehr musikalisch, sondern inhaltlich. Die Erzählperspektiven sind ganz anders. Auf der „Mondscheiner“ und der „Loch in der Welt“ ging´s um sehr individuelle Wirklichkeiten. Da wurden Figuren vorgeführt und versucht, durch ihre Art zu erzählen, Brüche darzustellen. Bei der „Fink“ war nicht so wichtig, wer da erzählt, und es sind auch keine Momentaufnahmen von Dingen, sondern es geht um allgemeingültigere, universellere Sachen. Gerade in diesem Sinne sind es auch Folksongs oder Volksmusik, obwohl wir ja keine gute Volksmusiktradition haben… Also, zum Beispiel „Das Liebste“ halt ich für einen der größten Titel auf dem neuen Album, weil das wirklich ein Klassiker ist: relativ spärlich instrumentiert, mit ´ner Mandoline – hört sich wie ´was ganz Altes an, ist aber ganz neu.

Koppruch ist freundlich geblieben. Wie leichtsinnig. Geradezu kamikaze-artig presst die Interviewerin jetzt das Kunstwerk in die verpönte „Schublade“.

Hinternet: Wie kommt es, dass ihr jetzt wieder stärker wieder in die Folkrichtung geht? Die „Mondscheiner“ ist dagegen fast Pop: unglaublich bunt und vom Sound her ganz anders, viel plastischer modelliert. Jetzt seid Ihr in den Arrangements zwar komplexer, trotzdem fügt sich alles viel unspektakulärer zusammen.

Koppruch: Ja, wir wollten etwas Geschlosseneres machen. Und zumindest in diesem Punkt war die letzte Notwist-Platte „Shrink“ ein Vorbild, auch wenn´s andere Musik ist. Wir wollten nicht nur hier mal ein Blitzlicht und da mal ein Blitzlicht draufhalten und offensiv mit Klangfarben spielen, sondern tatsächlich versuchen, mehr ein Album zu machen: etwas Geschlosseneres. Wie ein Ziegelstein, so schwer und stabil.

Hinternet: Auf Eurem neuen Album finden sich ausgesprochen tierische Laute – wer von Euch hatte kein Geld für ein Hundehotel?

Koppruch: Die Geschichte ist folgende… Der Reverend, unser Organist, hat einen kleinen Hund, Lucie. Ich vergess immer, wie die Rasse heißt. Der ist sehr klein, sieht aus wie eine Ratte, ist aber kein Schoß-Fifi. Der Hund ist halt überall da, wo der Reverend auch ist. Also war er auch im Studio, weil der Reverend ja am Harmonium saß, und hat da ein bißchen um Aufmerksamkeit gebettelt. Jedenfalls rief der Reverend später an, ob wir Lucie nicht mit auf die Platte schreiben könnten, dann könnte er versuchen, GVL abzurechnen – ich glaube nicht, dass das funktioniert, aber wir haben ihm den Gefallen getan.

Hinternet: Ihr habt Lucie ja nicht nur in den Credits, sondern auch wirklich auf dem Album drauf, akustisch.

Koppruch: Ja, der Reverend muß ja auch was vorführen können bei der GVL. Aber das war mehr ein Zufall. Es gab halt nicht die Situation bei den Aufnahmen, dass man sagt, „So, Ruhe, jetzt geht’s los“, sondern wir haben das mitgeschnitten, und der Hund war halt da. Und dann lässt man das so oder man schmeißt den Hund raus und nimmt das nochmal auf – aber kriegt man das nochmal so schön hin? Also haben wir gesagt, lassen wir das jetzt halt so, dann ist der Hund da mit drauf.

Hinternet: Jetzt muß ich wenigstens einmal das böse C-Wort in den Ring werfen… Habt ihr euch mittlerweile eine richtig schöne Strafe überlegt für alle, die euch noch mit Country in Verbindung bringen?

Koppruch: Nee, haben wir nicht. Sollte man vielleicht noch tun, wenn du schon danach fragst. Nee, aber – interessiert mich jetzt auch nicht mehr. Ja, bei der „Mondscheiner“ war das schon absurd, und bei dieser Platte… – auch wenn du sagst, es ist eher wieder folkloristischer oder noch traditioneller, dann würd ich trotzdem sagen: wenn man das mit einem eindeutigen Genre beschreiben will, wird das der Platte nicht gerecht. Es ist halt so´n Bastard. Normalerweise gucken sich Bands die Popgeschichte bis 1960 an: Beatles, und was kommt danach… Und dann gründen sie ´ne Band und sagen „Oh, wir machen 80er Jahre, denn im Moment möchten alle wieder 80er Jahre hören“. Fink sind eher daran interessiert, was sehr weit vor 1960 passiert ist: „Kann man daraus nicht noch ´was nehmen und in so´n popkulturellen Kontext stellen, um damit zu arbeiten? Ist das nicht viel spannender als zu sagen, naja, wir gucken grad mal bis zum Rock´n´Roll zurück?“

Ha! Jetzt ist es raus! „Wenn man das mit einem eindeutigen Genre beschreiben will, wird das der Sache nicht gerecht.“ Es gibt sie also noch. Die alte Angst, eine konkrete Bezeichnung könne dem Werk die Seele rauben, alle Innovation in Frage stellen, der Band Eingleisigkeit unterstellen… Leser, wenn Du Musiker sich winden sehen willst, dann frag sie, was für Musik sie machen. Fink sind da noch ein harmloses, wohlerzogenes Beispiel…

Hinternet: Klingt gut. Trotzdem seid ihr quasi der Opener der aktuellen XXS-Compilation „Land of the Kantrie Giants“. Ist das okay mit Euch ?

Koppruch: Jaja.

Hinternet: Auch die Rolle, die Ihr spielt in dieser ganzen Bewegung – die es ja gab?

Koppruch: Ja. XXS ist unsere alte Plattenfirma, die es nur gibt, weil es Fink gibt.

Hinternet: Das klingt aber bitter.

Koppruch: Nein, die haben sich ja gegründet, um uns damals zu veröffentlichen.

Hinternet: Dann war das nicht polemisch gemeint?

Koppruch: Neenee, das ist korrekt, und denen sind wir natürlich menschlich wie musikalisch sehr zugeneigt. Daher kommen wir ja letztendlich auch. Wir haben bei XXS angefangen, und „Kantrie Giants“ ist das, was XXS jetzt macht und zeigt. Da gehört Fink natürlich auf alle Fälle drauf. Ich hab die „Kantrie Giants“ nicht zusammengestellt und nicht ausgesucht, aber die ersten beiden Fink-Alben sind halt eine XXS- Produktion.

Hinternet: Seht ihr das mit Wohlwollen, was durch XXS in Eurem Kielwasser entstanden ist?

Koppruch: Ich weiß grad gar nicht, was da drauf ist.

Hinternet: Zum Beispiel Missouri.

Koppruch: Missouri… Mit denen haben wir auch schon zusammengespielt, die haben uns schon supportet, find ich sehr schön. Ja, ich find das gut, dass solche Bands jetzt so´n Forum haben.

Hinternet: Oder Das Weeth Experience. Kennt ihr die?

Koppruch: Ja, aber das ist auch so mißverständlich. Dieser Country-Sampler ist natürlich überhaupt kein Country-Sampler, sondern – naja, es ist das, was XXS halt macht. Es gab ja einen Konzertabend in Hamburg zur Veröffentlichung der Platte. Wer dahingekommen ist und Country sehen wollte, der war da total fehlplatziert. Es geht bei der Compilation wohl eher um eine sehr individuelle Sichtweise von XXS Records, und da fühlen wir uns natürlich schon zu Hause. Cow ist da drauf, beispielsweise, die sehr traditionell sind. Ich hab die neulich live gesehen, die haben Calexico supportet. Sehr, sehr gut, aber das ist wirklich fast traditioneller Bluegrass. Ich find´s gut, dass solche Bands eine Möglichkeit haben, etwas zu veröffentlichen, und wenn´s nur auf solch einem Sampler ist. Oder dass XXS die veröffentlicht mit dem Wissen, dass sich das eigentlich nicht verkaufen lässt, aber du das trotzdem anhören kannst…

Das Interview geht zur Neige. Alle Fragen sind gestellt, die Interviewerin ist wieder schlauer. Doch da ist noch ´was, das Nils Koppruch loswerden will – wenn´s mich interessiert. Und das tut es.

Koppruch: Wir haben jetzt angefangen, wieder zu proben für die Tour. Und es gibt auch – was für uns superspannend ist und riesig Spaß macht – von vielen älteren Stücken neue Interpretationen. Wir sind schon bemüht, dass wir quasi mit neuem Programm kommen.

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