Interview: Red Snapper (2000)

Oh, it’s pure Red Snapper

Red Snapper zählen zu den interessantesten Bands des Genres Elektro. Die Gründe liegen auf der Hand: Zum einen verlassen sie sich beim Komponieren nicht ausschließlich auf Zutaten aus der Konserve. Zum anderen kreieren sie ein faszinierendes Gemisch aus düster-melancholischen und schönen, funkigen Elementen.

Was 1993 mit einer Session begann, hat in der Zwischenzeit weite Kreise gezogen. Ihre auf dem eigenen Label ‚Flaw‘ veröffentlichten EPs sind bereits legendär -nachzuhören auf dem Album „Reeled And Skinned“ (1995). Kurz darauf folgte die Vertragsunterzeichnung bei ‚Warp Records‘ und im Zuge dessen die viel gerühmten Alben „Prince Blimey“ (1996) und „Making Bones“ (1998).

Einige Kritiker und Fans sind zwar weiterhin davon überzeugt, „Reeled And Skinned“ sei das beste Red Snapper-Werk bis dato, doch da haben sie die Rechnung ohne „Our Aim Is To Satisfy Red Snapper“ gemacht. Das dritte reguläre Studioalbum von David Ayers (Gitarre, Programming), Richard Thair (Schlagzeug, Turntables) und Ali Friend (Bass) ist eine interessante, spannende und kurzweilige Reise durch den Ideenfundus des britisch-amerikanischen Trios und wurde von der Band und Hugo Nicholson (David Holmes, Primal Scream) co-produziert.

Der erste Gesamteindruck verrät, dass sie im Vergleich zum direkten Vorgängeralbum mit weniger Jazz-Anleihen und dezenter Temporeduzierung auskommen. Statt dessen trippige Sounds und Dub-Verweise. Auffallend ist einmal mehr, die Ideenvielfalt der Band, die beim Hören für ein Auf und Ab der Gefühlswelt sorgt. Doch lassen wir an dieser Stelle David Ayers zu Wort kommen:

Hallo David, wie geht’s es dir?

„Nun, das ist jetzt der dritte Tag Pressearbeit in Deutschland. Heute machen wir in München Station. Gestern stand Köln und vorgestern Hamburg auf dem Programm. Bislang war es schön. Uns fehlt lediglich etwas Schlaf. Letzte Woche spielten wir einige Festivals. Die Nacht bevor wir nach Hamburg flogen, waren wir auf dem Reading Festival in England. Als wir nachts in London eintrafen, blieben uns nur zwei Stunden Zeit, um den Flieger nach Deutschland zu erwischen. Das war stressig und steckt uns noch in den Knochen.“

Das klingt nach viel Arbeit. Die Promotion startet tatsächlich sehr früh bei euch.

„Ja, es gibt viel zu tun. Es ist jedoch aufregend. Noch sechs Wochen, dann kommt das Album endlich auf den Markt. Wir haben die Stücke so oft gehört, da würde es mir ehrlich gesagt komisch vorkommen, mich mit jemandem zu unterhalten, der sie nicht kennt. Im Musikbusiness geht alles entweder verdammt schnell oder extrem langsam. Wir hatten während der Produktionsphase einen eng gesteckten Zeitplan und standen unter großem Druck, das Album termingerecht fertig zu stellen. Aber es gelang. Jetzt müssen wir einige Wochen Geduld beweisen, bis es veröffentlicht wird.“

Tja, das ewige Warten ist nun einmal Bestandteil der Musikbranche.

„Da fällt mir ein Zitat von Charlie Watts ein. Er wurde gefragt, wie es ist, Teil der Rolling Stones zu sein. Er antwortete, er habe die letzten 25 Jahre dafür geopfert und 20 davon gingen fürs Warten drauf. (lacht)“

In dem letzten Hinternet-Interview habt ihr zugegeben, die Veröffentlichung von „Making Bones“ wegen der Fußballweltmeisterschaft verschoben zu haben. Dieses Jahr habt ihr anscheinend gewartet, bis die EM vorüber ist.

„Ah, da sprichst du mit dem falschen Mann. Ich bin Baseball-Fan, Ali ist der Fußballfreak. Warum ich Baseball mag? Ich bin nicht Brite, sondern Ami. Vor etwa zehn Jahren zog ich nach London. Baseball hat viel mit Strategie zu tun. Zugleich ist es ein körperliches Spiel, bei dem der Spieler explosionsartig seine Leistung erbringen muss. Diese Mischung macht Baseball für mich interessant.“

Auch hier muss man ja viel Geduld aufbringen und warten.

„Stimmt. Doch es ist unterhaltsam, solange du nicht einem stink langweiligen Spiel beiwohnst, in dem absolut nichts passiert. Manchmal kann allerdings noch der letzte Schlagmann ein Spiel rumreißen, was beim Fußball etwas schwerer ist.“

Zurück zu Red Snapper: Wie waren überhaupt die Festivalauftritte?

„Um ehrlich zu sein, hatten wir im Vorfeld Angst und befürchteten, außer Form und unvorbereitet zu sein. Besonders unserem Schlagzeuger verlangen wir viel ab. Er muss einige komplizierte Dinge machen und gilt nicht umsonst als human drum machine. Aber es war alles in allem toll. Abgesehen von einigen kleineren Patzern zogen wir uns gut aus der Affäre. Ich schätze, wir haben in Kürze zur alten Form zurückgefunden.“

Sind noch immer Teile der Zuschauer überrascht, wenn ihr mit Instrumenten auf die Bühne kommt?

„Einige ja. Das ist auch der Grund, warum ich gerne auf Festivals spiele. Ansonsten ziehe ich Clubshows vor. Der Sound ist nämlich besser, das Publikum ist nur wegen dir gekommen und in der Regel kannst du die Dauer des Sets frei bestimmen. Auf Festivals hast du Stress, wenig Zeit und sicherlich auch einige Leute im Publikum, die mit Red Snapper nichts anfangen können. Andererseits kannst du gerade diese Leute erreichen und vielleicht für dich gewinnen.“

Ich habe gelesen, dass noch keines eurer Alben mit der Liveshow konkurrieren kann. Das kann ich zwar selbst nicht beurteilen, da ich euch noch nicht live gesehen habe, dennoch würde ich dich um ein Statement bitten.

„Darüber haben wir jüngst diskutiert. ‚Our Aim Is To Satisfy Red Snapper‘ ist vielleicht das erste Red Snapper-Album, das die Liveenergie einfangen konnte. Seit Jahren leben wir mit diesem Urteil. Diesmal hatten wir die Wahl zwischen einem Livealbum oder einer Platte, die authentisch und livehaftig klingt. Letzteres haben wir umzusetzen versucht.“

Ich habe auch gelesen, dass ihr in den letzten Jahren vom Pech verfolgt wart. Wie ist das zu verstehen?

„Es ging um Privates. Meine Mutter starb diesen Sommer. Ali brach sich beim Fußballspielen die Hand und musste drei Monate pausieren. Richard trennte sich von seiner langjährigen Freundin, mit der er ein Kind hat. Wir trennten uns von unserem Manager, weshalb wir uns derzeit selbst managen müssen. Du siehst, wir hatten eine Pechsträhne. Andere Bands, denen es an Zusammenhalt mangelt und bei denen es mit dem Verständnis untereinander nicht so weit her ist, hätten vielleicht das Handtuch geworfen. Uns machte es entschlossener denn je, und wir konzentrierten unsere Kräfte auf die Musik. Das wiederum erklärt auch den Albumtitel. Er ist mit Absicht zweideutig und enthält einen Funken Wahrheit. Sofern wir nicht mit etwas zufrieden sind, veröffentlichen wir es nicht. Dadurch schützen wir uns vor allzu großen Fehltritten. Das ist auch der Grund, warum wir zwei Jahre benötigten: Wir sind Perfektionisten.“

Viele elektronische Bands greifen ausschließlich auf Drumcomputer, Sampler, Moog und sonstige Spielereien zurück. Ihre Sänger sind zumeist MCs, deren Texte keine Message haben. Dabei beweist ihr, dass es auch anders geht. Nämlich mit Gitarre, Bass und Schlagzeug und mit Sinn und Verstand in den Lyrics.

„Erst einmal: Wir sind alle Mitte dreißig und mit dem Erlenen von Instrumenten aufgewachsen. Heutige Musiker wachsen unter anderen Umständen auf. Sie ziehen dem traditionellen Instrument Turntables und Sampler vor. Das kann natürlich ebenso wertvoll sein. Ich finde beide Wege interessant. Im Endeffekt greifen wir alle auf das selbe Equipment zurück. Wir haben auch einen DJ und all den anderen Kram, den man mittlerweile braucht. Was uns vielleicht von unseren Kollegen unterscheidet, ist dass wir in einem Raum sitzen und mit den Instrumenten sofort neue Ideen in Musik umsetzen können. So entstanden vor allem die neuen Tracks. Sie haben sich während der Jamsessions herauskristallisiert. Das mag am Ende organischer klingen und mehr Livefeeling mit sich bringen. In der Regel überlegen wir uns erst danach, wie wir einen Song manipulieren und verändern können. Insofern kombinieren wir beide Ansätze.

Was die Vocals angeht, so beschwert sich MC Det andauernd, dass wir ihm zu viel abverlangen. Aber das ist typisch für Red Snapper. Wir schrauben die Ansprüche selbst hoch und damit auch die derer, die mit uns kooperieren. Unsere Prämisse ist, alles erdenklich mögliche in die Tat umzusetzen. Det hat vor einem Jahr mal zu einem Barry White-Song gesungen. Da stellten wir erst fest, was für eine tolle Stimme er hat. Wir fragten ihn sofort, warum er das nicht öfter mache. Er meinte nur: MCs singen nicht. Basta. Aus welchem dämlichen Regelwerk ist denn das bitteschön? Wo steht geschrieben, dass MCs nicht singen dürfen? Aber es passt: Obwohl Det überhaupt nicht konservativ erscheint, ist er letztlich stockkonservativ. Er hat eine ausgezeichnete Stimme, aber er nutzt sie nicht. Ich kann auch über die Strasse laufen und zeitgleich Kaugummi kauen. Blöder Vergleich, doch du weißt, worauf ich hinaus will: Es macht Spaß, Regeln zu brechen.“

Eben.

„Anders zu sein, ist wahrscheinlich die einzige Eigenschaft, die uns dorthin gebracht hat, wo wir jetzt stehen. Unsere ersten EPs, die wir auf einem ganz kleinen Label veröffentlicht hatten, waren auch schon anders. Und genau darauf standen die Leute. Das inspirierte uns, unseren eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Wenn einer schreibt oder sagt, unsere Platte sei klasse und ihm fallen keine passenden Vergleiche ein, ist das das größte Kompliment, das wir bekommen können.“

Stimmst du mir zu, dass „Our Aim Is…“ mehr ist als nur new dark funk oder fuck-off jazz.

„Haha. Den Begriff new dark funk dachte sich der Typ aus, der das erste Info schrieb. Dabei kennen wir den gar nicht. Das Info ist voll von Fehlinformationen. Furchtbar. Hoffentlich hast du den überarbeiteten Pressetext. Wir bezeichnen unsere Musik lieber als new dark chocolate. (lacht) Das klingt wesentlich besser. (lacht) Nenn es, wie du willst. Die Musik ist zu komplex und zu variantenreich, um sie mit einem Begriff einzufangen. Wir haben Jahre gebraucht, um die Etikette fuck-off jazz abzuschütteln. Die kam von uns und war nur ein Jux. Trotzdem haftete sie uns ewig an. Stell dir nur mal vor, du machst einen Witz und er verfolgt dich für drei Jahre. Ein Horror, sage ich dir. Du als Journalist hast die Aufgabe, den Leuten zu erklären, was auf einer Platte passiert und welche Musik es ist. Im besten Fall ist das unglaublich schwierig. Am liebsten würde ich mit Red Snapper so lange Musik machen können, bis jeder weiß, wofür wir stehen und niemand mehr die Musik beschreiben muss. Nach dem Motto: Oh, it’s pure Red Snapper. Der Name sollte für sich sprechen.“

Einerseits habt ihr auf „Our Aim Is…“ schwerfällige, relaxte Stücke („Shellback“, „Belladonna“), andererseits lebendige Tracks („The Rake“, „The Rough And The Quick“) und dann solche, die irgendwie was von beidem vereinen („Keeping Pigs Together“, „I Stole Your Car“). Ist es nicht eine große Herausforderung für den Hörer, die beiden Extrema gleichermaßen zu verarbeiten?

„Aber gerade das spiegelt das Leben wider. Sind nicht die Persönlichkeitsbilder der Menschen so? Ich habe Freunde, die stündlich ihre Stimmung wechseln. Warum sollte Musik nicht ebenso variabel sein. Wir setzen uns ja nicht an einen Tisch und beschließen, düstere wie funkige Stücke auf ein und dasselbe Album zu packen. Schaust du dir allerdings unsere Plattensammlungen an, wirst du feststellen, dass wir Künstler schätzen, die verschiedene Seiten haben – nimm nur Miles Davis oder The Clash.“

Ihr seid bei ‚Warp Records‘ unter Vertrag, einem Label das bei Kritikern, Musikern und Fans gleichermaßen durch seine ausgezeichneten und einzigartigen Bands einen besonders guten Ruf genießt. Wie siehst du das?

„‚Warp‘ gehört zu den wenigen wahren Indiefirmen in Großbritannien. Ich mag fast alle Künstler, die sie unter Vertrag haben. ‚Warp‘ haben den Status, den früher ‚4AD‘, ‚Rough Trade‘ oder ‚Motown‘ hatten. Sie haben eine Identität. Magst du eine Platte, ist die Chance groß, dass dir alle gefallen. Sie haben einfach guten Geschmack. Auf den kannst du dich verlassen.“

Der A&R-Job bei ‚Warp‘ muss anstrengend sein.

„Der Witz aber ist, dass es keinen A&R gibt. Es gibt nur Steve Beckett und Rob Mitchell, die beiden Gründer. Sobald sie eine Band mögen, krallen sie sich diese. Du musst mit ihnen nicht großartig verhandeln. Sie kommen gleich auf den Punkt. Das ist genau nach unserem Geschmack. Lieber eine kleine Firma, dafür umso mehr Freiheiten. Bis dato hat, in Bezug auf die Verkaufszahlen, jedes unserer Alben den Vorgänger um das doppelte geschlagen. Dadurch geben wir dem Label etwas von dem zurück, das sie in uns investiert haben. Reich werden wir alle nicht. Aber es reicht aus, um zu leben. Und es macht Spaß.“

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