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Martin Conrath

Stahlglatt

Emons

„Bitte, bitte, nur ein paar Zeilen!“ Die Stimme des Herausgebers stürzt in ein Jammertal. „Bedenken Sie doch: Es ist ein Saarland Krimi!“

Ich schweige ein paar Sekunden, räuspere mich und antworte brutal: „Ja, ja. Saarland Krimi. Wenn der Autor nur am Bindestrich gespart hätte – geschenkt. Aber so... Ich bespreche grundsätzlich keine Bücher, die mir beim Lesen körperlichen Schmerz bereiten.“

„So schlimm?“ Der Herausgeber heuchelt Mitgefühl.

„Schlimmer!“

„Und...“ - er überlegt angestrengt – „... es gibt wirklich gar nichts, was man zu Gunsten von Martin Conrath und seinem Krimi 'Stahlglatt' vorbringen könnte?“

„Nun... schon.“

„Na sehen Sie!“ trumpft es am anderen Ende der Leitung auf. „Kein Buch ist so schlecht, dass man...“

„Halt, halt!“ unterbreche ich ungeduldig. „Herr Conrath hat zweifellos viele Talente. Leider hat keines von ihnen auch nur im Entferntesten etwas mit Literatur zu tun. Ich könnte mir Herrn Conrath durchaus als Angestellten der Tourist Information des aufstrebenden saarländischen Städtchens Saarlouis vorstellen. Kleine Leseprobe gefällig?“

„Ich bitte darum.“ bittet der Herausgeber.

„In dreizehn Minuten schafften sie den Weg nach Saarlouis, die Stadt, die sich als heimliche Hauptstadt des Saarlandes betrachtete. Zumindest was die Kneipendichte anging, war Saarlouis Spitzenreiter. Die Infrastruktur der Altstadt suchte in Deutschland ihresgleichen.“

„Oh weh!“ seufzte der Herausgeber. „Vielleicht nur ein Ausrutscher?“

Ich lache bitter.

„Ausrutscher? So liest es sich durchgehend, wenn Herr Conrath das zu vermitteln versucht, was er unter 'Lokalkolorit' zu verstehen scheint. Immerhin: Zumindest was die Plattitüdendichte angeht, ist Herr Conrath Spitzenreiter. Die Infrastruktur seiner Sprache sucht in Deutschland ihresgleichen.“

„Aber sind das nicht Nebensächlichkeiten? Die vernachlässigbaren Mängel eines Debütanten? Wie ist es um die Story bestellt?“

Ich schnaufe in den Hörer. „Story? Jeder Depp kriegt ne halbwegs anständige ‚Story’ zustande. Dass es aber allein auf die Ausführung ankommt, dass nur sie entscheidet, ob wir am Ende unsere Nase in Scheiße oder in das Aroma gelungener Kunst stecken, scheint ein Stück Wissen zu sein, das hierzulande immer mehr verloren geht. In der Ausführung zeigen sich Meisterschaft oder Dilettantismus. Beherrscht einer seine Sprache? Hat er wenigstens einen Hauch von Ahnung, was Dramaturgie in der Literatur bedeutet? Spannungsbogen, Atmosphäre? Herrn Conrath interessiert das alles nicht sonderlich. Er inszeniert auf die Schnelle sechs Morde. Sechs Morde, deren Opfer jeweils einer anderen Glaubensgemeinschaft angehören: ein Buddhist, ein Jude, ein Christ, ein Moslem... und ihre Hinrichtung geschieht auf eine Weise, die im Zusammenhang mit ihrer religiösen Überzeugung steht. Der Jude wird geschächtet, der Moslem gesteinigt usw...“

„Klingt aber gut!“ entblödet sich der Herausgeber nicht auszurufen.

„Aha.“ antworte ich lakonisch. „ Im Laufe der Ermittlungen tauchen ein paar Verdächtige auf, die Herr Conrath aber eher halbherzig ein- und wieder ausführt. Auf die richtige Fährte führen ihn eh Kommissar Zufall und seine ‚Nase’. Dazwischen allerhand Petitessen, sprachlicher Schluder und die oben in einer kleinen, aber feinen Kostprobe vorgezeigten ‚Lokalkolorite’. Am Schlimmsten und Lächerlichsten aber ist ER: Martin Bremer, Kripo Saarbrücken. Schrecken aller Mörder, Superbulle, einsamer Wolf, geniales Hirn, Stratege und Denker von besonderen Gnaden... kurzum: eine Mischung aus Sherlock Holmes und James Bond, leider auf saarländischem Fleischwurstniveau. Denn all diese Attribute werden ihm vom Autor angesteckt wie kleine billige Werbeschildchen. In Wirklichkeit – das heißt in der Wirklichkeit des Romans – ist dieser Bremer nichts von alledem. Er bleibt so farblos wie das übrige Personal des Buches. Selten hat man einen Kommissar so hilflos durch die Handlung stolpern sehen wie hier: aber irgendwann trifft er IHN... nein, ES: das personifizierte Böse. Und schon ist ihm alles klar. Denn Conrath hat nicht etwa nur einen Krimi geschrieben. Nein, nein. Es geht ihm um das Grundsätzliche, um die letzten Dinge gewissermaßen. Dieses BÖSE ist eine Figur von geradezu mephistophelischen Dimensionen, mit einem Schuss Dr. Mabuse und einem Spritzer Adolf Hitler. Natürlich handelt es sich auch bei diesen Attributen um bloße Behauptungen des Autors. Das ist so, mein lieber Freund, als gingen Sie mit ihrem alten, siechen Dackel spazieren und würden jedem Passanten ein ‚Obacht, da kommt ein scharfer Rottweiler!’ entgegen brüllen. Dieses saarländische Böse also ist ein Typ, der bei Rot über die Ampel geht und dann die ganze Nacht vor lauter Gewissensbissen nicht einschlafen kann.

Es gibt eine wirklich tolle Szene in diesem Buch. Bremer und der Bösewicht sitzen sich zum ersten Mal in einem Restaurant gegenüber und kommen ins Philosophieren. Äh... auch hier eine Leseprobe?“

„Legen Sie los.“

„In Ihrer Welt kann keine Hölle existieren, da es keinen Himmel gibt. Also ist es der Pfad in die Nicht-Existenz. Welch scheußliches Wort.“ ... „Ich bin überzeugt von Ursache und Wirkung der Dinge. Zufall umschreibt Abläufe, die so verwickelt sind, dass wir sie nicht erkennen und daher auch nicht erklären können.“

„Das ist ja...“ stöhnt der Herausgeber.

„Genau. Solcher intellektuelle Schmonzes ist die unfehlbare Quittung, wenn man sich erfolgreich vor den sagen wir mal letzten 300 Jahren Geistes- und Ideengeschichte gedrückt hat. Getreu dem Motto: Warum ein Buch lesen, wenn ich auch eins schreiben kann? Dahinter steckt selbstredend der alte Irrglaube, Literatur sei nur dann Literatur, wenn man sie mit ‚großen Gedanken’ anreichert. Krimis eh. Da muss es nur so herumdenkeln und weltzweifeln, da wird der Dünnbrettbohrer zum Tiefschürfer und das eher tumbe Gemüt reitet auf Pegasus’ Rücken durch Platonsche Landschaft. Igitt. Und alles, ALLES, was Herr Conrath an Psychologie / Philosophie zu bieten hat, suhlt sich in dieser Peinlichkeit.“

„Ziemlich übel.“ Bestätigt der Herausgeber. „Aber – Hand aufs Herz – gibt es nicht wenigstens ab und an etwas zu lachen?“

„Gewiss! Es schüttelt einen immer wieder herzlich, wenn man Herrn Conraths Sexualphantasien zur Kenntnis nehmen muss. Denn sein Held Bremer ist selbstverständlich auch ein Frauenversteher und – konsument. Mit zwei Frauen hat er Sex. Einmal wird er dabei sogar vergewaltigt! Und eine dritte Frau kommt nur deshalb ungeschoren davon, weil Bremer messerscharf erkennt, dass sie in ihm nur den „Vaterersatz“ sieht.“

„Super.“ Der Herausgeber ist geschafft. „Haben Sie auch hier vielleicht ein kleines Pröbchen?“

„Dann begann Saskia, sich auszuziehen. Mit einem Blick wie Honigtau streifte sie ihre Schuhe von den Füßen, warf sie scheinbar achtlos hinter sich. (...) Die Liebenden verließen ihre Körper. Kehrten wieder zurück, sprangen, flogen, siedeten, schrien, wühlten, zögerten, streichelten, wogten, Bremer brauchte keine Worte mehr, und Saskia, die Lehrerin, versank in den Wellen, die der gelehrige Schüler auslöste.“

„Mein Gott!“ entkommt des dem Herausgeber.

„Lassen Sie den aus dem Spiel, der kann nun wirklich nichts dafür. Aber in dieser kleinen Szene lernen wir den Pseudoschriftsteller Conrath in seiner ganzen Pracht, seiner vollendeten Klischeebaumeisterei und seiner Kapitulation vor der deutschen Sprache kennen. Natürlich gehören Liebesszenen zum formal Schwierigsten, was ein Autor zu bewältigen hat. Aber seit Arno Schmidts erotischen Schilderungen in den 50er Jahren gibt es klare Orientierungspunkte, die es verhindern sollten, dass sich ein Autor so blamiert. Nichts davon hier.“

„Gut. Ich verstehe. Ich kann Ihnen wirklich nicht zumuten, dieses Buch zu besprechen. Ihr Urteil in einem Satz?“

„Ganz kurz. Martin Conrath hat mit 'Stahlglatt' einen völlig missglückten Krimi vorgelegt, dessen Personal absolut charakterlos, dessen Handlung beliebig und dessen sprachliche Ausführung – um es gelinde auszudrücken – miserabel ist. Schweigen wir ganz von der ‚Tiefe’. Jedes Kinderpissbecken des Saarbrücker Freibades ist ein wahrer Mariannengraben dagegen. Gottlob hat Herr Conrath einen guten Freund, der dem Schmöker bei amazon.de fünf Sterne gibt. Wir wünschen Herrn Conrath alles Gute für seinen weiteren Lebensweg. Hauptsache, er hat nichts mit Literatur zu tun oder, besser gesagt, dem, was Herr Conrath für Literatur hält.“

Zum Schluss noch die tiefe AMAZON-Erkenntnis "eines Rezensenten / einer Rezensentin aus dem Saarland" zu Conraths Buch "Acht": "Martin Conrath schafft es, den Leser innerhalb von Sekunden vom schallenden Lachen zum betroffenen Schweigen bishin zum Weinen zu bringen."

Selten wurden im Internet wahrere Worte verbreitet!

(dpr)

Martin Conrath: Stahlglatt.
Emons 2004, 288 Seiten, 9 Euro 90