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The Raconteurs

Broken Boy Soldier

Xl/Beggars

Da liegen die Schatzkammern voll mit Gold und Edelsteinen. Und eine Stimme sagt: Hereinspaziert. Aber das allein macht noch keinen geschmackvoll geschmückten Menschen. Man muss auch verantwortungsvoll mit all den Herrlichkeiten umgehen können. Sprich: alles Geschmeide gleichzeitig umzuhängen, macht nur billig.

Hat man Prinzessin Diana je mit mehr als einem Diadem im Haar auflaufen sehen? Nein. Menschen, die nie genug kriegen und mit beiden Händen gierig zugreifen, sehen am Ende aus wie daueroperierte Kunstfiguren auf den Partyseiten der Bunte. Selbst der kluge Einrichtungsberater weiß: Räume wirken nur, wenn man sie nicht restlos voll stellt, sondern auch Mut zu Leerflächen hat. Oder besser: die nötige Disziplin, nicht jeden Quadratzentimeter zu füllen.

Der Ausflug in die Ästhetik ist länger geworden als er sollte. Sein eigentlicher Zweck ist, eine neue Band zu loben. Die Raconteurs. Beziehungsweise ihr erstes Album. In Detroit hat sich die zuständige Truppe zusammengefunden: Jack White von den White Stripes und noch drei weitere Kollegen, unter anderem von den Greenhornes. Und den vieren ist eines großartig gelungen: sich nicht zu sehr in der Schatzkammer zu bedienen - obwohl ihre aus allen Nähten platzt. Sondern mit untrüglichem Sinn für Maß und Ästhetik nur die besten Teile herauszugreifen und zu aufregenden Songs zusammenzusetzen.

"Broken Boy Soldier" ist mit einer gewissen Kühle und Eleganz ausgestattet. Obwohl immer wieder deftige Riffs das feinziselierte Gewebe aufwühlen. Mit Leidenschaft, aber auch mit viel Zurückhaltung gehen die Raconteurs sparsam mit ihren Mitteln um. Aufreizend sparsam. Immer wieder erscheinen die Songs als transparent gemachtes Gerüst aus einer übersichtlichen Zahl von Linien: Gitarre, Gesang, Percussions, Synthie. Als zerlege man einen Menschen in ein Skelett und die wichtigsten Muskelbahnen. Bevor... - wieder kurz der Riffwahnsinn ausbricht. Denn die Raconteurs lieben Kontraste. Vor allem zwischen Laut und Leise.

Und sie lieben Effekte: hier und da ein kleiner Diamant mehr darf es durchaus sein. Ob der Keyboarder seine Tasten nervös flackern lässt oder auf wuchtige Orgel umstellt. Ob der Gitarrist die Fuzzbox auspackt. Oder ein Teil des Gesangs in den Hintergrund gerückt oder gar verzerrt wird.

Gefeilt und gefrickelt wurde hier durchaus. Am Sound und an den Songs, die sich nicht alle mit Klampfe am Lagerfeuer nachspielen lassen. Im Gegenteil: vieles ist genüsslich dekonstruiert und in kunstvoll liierte Versatzstücke runterdekliniert worden. Obwohl die vier auch mit ihrem Songwritingtalent nicht geizen müssen. Aber - wie gesagt: weniger ist für die Raconteurs mehr. Und am Ende ist stets alles stimmig.

Ob es die softe Sixties-Hymne ist mit ihren weich perlendem Synthie, die sich tatsächlich am Lagerfeuer nachspielen ließe. Ob es der scharf sägende Rock-Opener (und Single) "Steady as she goes" ist: mit eruptiv ausbrechendem Refrain und spannungsreich-spartanischen Strophen. Oder die beiden großen, düsteren und epischen Meisterwerke des Albums sind: der Titelsong, der mit Led Zeppelin-Fistelgesang und unheilschwangeren Gitarrenlinien aufwartet. Und der herzzerreißende Schlusstake "Blue Veins", der drohende Westernriffs und verhaltenes Piano nur in Zeitlupentempo voran kommen lässt. Und immer wieder schwelgen die vier in kunstvollen Beatles-Backingchören.

Überhaupt klingen die vier, als wüssten sie sich blind zu vertrauen. Vermutlich nur so ist dieses großartige Album entstanden, das seine Kunst äußerst lässig zelebriert. Hier treffen sich Rock und Experiment. Ungewöhnliche Percussions sexen die Takes oft zusätzlich auf. Kombinieren 70er-Hardrock vorsichtig mit jazzy Latin-Flair. Beatle-esker Satzgesang trifft auf mathematisch abgezirkelten Progrock und pschedelische Synthie-Ausflüge.

Nein, "Broken Boy Soldier" ist keine Schönschreib-Hausarbeit einer verspielten Musikgruppe. Sondern ein straffes, aufregendes und vor allem abwechslungsreiches Rock-Album - das Rock aber auch gern mal anders definiert, als man es erwartet. Und das ruhig im Großen und Ganzen episch genannt werden darf. Eben so, wie es schon der Name der Band ankündigt: die Raconteurs!

(kp)