Die Pfauenfeder

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9. November, ein Donnerstag

Gibt es eigentlich Vergünstigungen für Gruppenreisen mit der Bahn? Wir sind jetzt nämlich zu siebt. Als da wären in der Reihenfolge ihres Erscheinens: ich, Sylvia, Hutschenreuther, Winter, seine Gemahlin Elfriede, eine angehende Betriebswirtschaftlerin, sowie beider Resultate eines gewiß traurigen Liebeslebens: Beate, auch „Baby“ genannt, dabei schon 4, und ein Baby, „Beate“ genannt, wahrscheinlich also ebenfalls weiblichen Geschlechts. Sehr kompliziert. Winter hatte uns seine und seines Anhangs Mitreise mit dem großkotzig deklamierten Vorhaben aufgedrängt, „eine Doku-Reportage für die ZEIT“ über meine Flucht zu schreiben und „mich groß rauszubringen!“ Was vom leider wie immer lärmigen Hutschenreuther mit den Worten „Au, klasse, meine Mutter wird blaß vor Neid, wenn ich in der Zeitung bin!“ begrüßt worden war. Wir fahren durch die Nacht. Das „Beate“ gerufene Baby schläft, wenn es nicht gerade schreit, und es schreit andauernd. Beate, auch „Baby“ genannt, zeigt sämtlichen Fahrgästen mit einem mir entwendeten Fünfhundertmarkschein, „wie der Daum das Kokain in die Birne gekriegt hat“. Gescheites Kind!

Hutschenreuther und Sylvia sind seit zwei Stunden „mal eben kurz aufs Klo“ verschwunden, der allzeit berufstätige Winter hinterher, „harte Fakts vor Ort reportieren“. Ich befinde mich in reger Unterhaltung mit Elfriede Winter, d.h. sie unterhält, und in mir regen sich Mordgedanken. Vor allem geht es wohl darum, daß Elfriede als angehende Betriebswirtschaftlerin eine strengere, nein, sie nennt es „effizientere, stringentere, auf Synergieeffekte ausgerichtete, dem shareholder value verpflichtete“ Organisation unserer Reise durchsetzen möchte. „Wir brauchen einen Reiseführer! Der muß demokratisch gewählt werden! Ich mach das gerne! Ich studier das ja quasi! Dann brauchen wir einen Proviantmeister, einen Kassenwart, eine Praktikantin, ein Kindermädchen.... kurz: Wir müssen sofort eine GmbH gründen, oder wenigstens doch eine Kommanditgesellschaft auf Aktien.“

Das Richtung Klo entschwundene Trio kommt endlich zurück. „Wir haben debattiert, wer denn jetzt US-Präsident wird!“ lügt Hutschenreuther frech. „Mensch, ist das knapp! Und in Florida zählen sie immer noch nach! Oder weiß man schon genaueres? Was sagen die Briefwähler? Also eigentlich ist das ja wie in einer Bananenrepublik da drüben. Als Lottogewinner kann ich nur sagen: Schade, daß das meine Mutter noch erleben darf!“

Die vorlaute Elfriede wischt solches Einreden resolut vom Tisch und beginnt, nun auch der Neuankömmlingen ihre Pläne bezüglich einer „efffizienteren, stringenteren, auf Synergieeffekte ausgerichteten, dem shareholder value verpflichteten“ Reiseorganisation auszubreiten. Sylvia, die Schlange, hat sich an meine Schulter gekuschelt und schnarcht alsbald in süßestem Moll. Hutschenreuther, der die studentische Elfriede schon seit längerem wohlwollend taxiert und Winter bereits „einen Tausch zum Ausprobieren, oder wenigstens ne Orgie“ vorgeschlagen hat, Hutschenreuther also schreit vor Zustimmung und Begeisterung, wobei er der angehenden Betriebswirtschaftlerin immer bedrohlicher auf den in studentenübliche Schlabberkleidung gehüllten Leib rückt. „Toll, Elfriede! Ich darf doch Elfriede zu dir sagen, ja? Als Lottogewinner gewissermaßen!“

Kurz vor Einfahrt unseres Zuges kommt Baby, auch Beate oder Beate auch Baby genannt (Ich blick nicht mehr durch!) zurück in unser Abteil. Meinen Fünfhunderter hat sie „hochzinsig angelegt“, was von ihrer Mutter mit Freudestrahlen begrüßt wird. Ich überlege mir derweil, wie man als Kindermörder vor Gericht am billigsten davonkommen könnte. So, liebe Redaktion. Ich muß zurück zu den Meinen, die inzwischen wahrscheinlich das Restaurant leergefressen haben und meiner harren. Denn irgendwer muß ja die Rechnung zahlen. Aha, eine Email vom Chef! „Lieber Autor! Weiter so! Und nicht vergessen: Die Bahn muß Geld verdienen! Also bloß nicht irgendwelche Vergünstigungen in Anspruch nehmen. Die ‘Neue´ sitzt übrigens an ihrer ersten Kommune, äh...Kolumne. Sie trägt den Titel ‘Warum kostet eine Dose Pizzatomaten bei Aldi 49 Pfennig, während die Strumpfhosen 1,78 DM kosten?´ Ich denke, das wird die Welt, in der wir leben, entscheidend voranbringen. Kopf hoch! Weiter so!“

 

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