Die Pfauenfeder

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10. Dezember, ein Sonntag

Die Zeit der Weihnachtsmärkte steht in voller Blüte, und wohin uns auch das Schicksal verschlägt, locken gebratene Äpfel und Mandeln, Punsch und Wunderkerzen zur inneren Einkehr und Besinnung.

„Da geht einem doch das Herz auf!“ geht Haberkorn, einen Glühwein einpfeifend, das Herz auf. „Wir waren früher so arm, daß wir alle christlichen Feste auf einen Schlag feiern mußten: Weihnachten, Ostern, Pfingsten, der Gewinn der Fußballweltmeisterschaft - alles wurde bei uns am 23. Juni begangen, in einer würdigen Feier am Baggersee.“

„Das ist noch gar nichts!“ erzählt Sylvia. „Als ich Kind war, konnten wir überhaupt keine christlichen Feste feiern! Wir hatten noch nicht einmal Geld, uns Weihnachtskarten zu schicken!“

„Das ist noch überhaupt gar nichts!“ trumpft Hutschenreuther auf. „In meiner Jugend wußte ich nichts von der Existenz eines Weihnachtsfestes. Wir waren so bitterarm, daß selbst der Erwerb dieses geringen Wissens unsere finanziellen Möglichkeiten bei weitem überstieg. Die elektrischen Kerzen und sonstigen Christbaumschmuck hielt ich für ein biologisches Phänomen, von dem Tannen und Fichten jeweils gegen Jahresende befallen werden. ‘Mutter!´ pflegte ich dann zu rufen, wenn wir durch die Straßen zogen, um uns aus den Mülltonnen unser Abendessen zusammenzusuchen, ‘Mutter, schau mal, den Tannen und Fichten sind wieder elektrische Kerzen gewachsen!´ - ‘Dann lauf schnell hin und ernte sie!´ forderte mich dieses Rabenaas auf, ‘die können wir beim Secondhandfritzen für gutes Geld verhökern und uns viel Schnaps dafür kaufen!´ - Ach, die seligen Zeiten der unschuldigen Jugend, nimmermehr kehren sie wieder!“

Ja, in unseren Herzen rühren sich die Erinnerungen, verklärt sich die Kindheit. Damals, als wir einen Bratapfel für das Paradies hielten und nicht an Computerspiele dachten. Wie böse dran ist da doch die heutige Jugend! Nur noch Materielles im Kopf, wie unsere beiden Punkmädchen, die sich - von mir! - die neue ÄRZTE-CD zu Weihnachten wünschen oder ein Originalautogramm vom süßen Guido Westerwelle.

Nur Elfriede scheint von der vorweihnachtlichen Stimmung nicht gepackt. Heute morgen hat sie die erste HINTERNET-Kolumne ihres Ehemannes gelesen, den schon vor seiner Premiere legendären und kultigen „Bahnhofsgaststätten-Report“. „Ach!“ seufzte sie, „was hat der Mann für einen Stil! Was für eine Bildung! Daß ich davon während unserer Ehe nichts gemerkt habe!“

Denn das muß der Neid dem Winter lassen: Schreiben kann er, und logisch denken allemal. „Das Frittenfett in der Bahnhofsgaststätte Kleingrünhausen hat auch schon bessere Tage gesehen.“ stellt der Chronist nüchtern und unbestechlich fest, „Damals, als Konrad Adenauer das Städtchen besuchte und ihm Frau Dürrlein, die Wirtin des Lokals, eine extragroße Tüte Fritten mit Mayo auf dem Bahnsteig überreichte, als Willkommensgruß der einheimischen Gastronomie. Doch dieses bedenkliche Alter des Frittenfetts wird auf das Schönste durch die blühende Jugend der hier gereichten Spirituosen ausgeglichen. Der Whisky ist keine drei Monate alt, auch der Doppelkorn steckt noch in den Kinderschuhen und schmeckt entsprechend nach Babypisse. Mein Assistent Knochen vergleicht ihn mit jener Mischung aus Motorenöl und Franzbrandwein, die er als Kleinkind statt Muttermilch gereicht bekam.“

„Mein Gott!“ stöhnt Hutschenreuther, „so einen Job müßte man auch mal haben! Stattdessen treibt man sich hier auf obskuren Weihnachtsmärkten herum, säuft Glühwein, frißt Schneckennudeln und wundert sich über all die verkleideten Bankräuber, die unbehelligt über den Platz laufen!“

Er meint die Weihnachtsmänner mit ihren langen roten Mänteln und den falschen Bärten, was ja tatsächlich sehr verdächtig ist. Derweil Hutschenreuther aber schon damit begonnen hat, das Lametta von den Ästen abzuernten, um es für teuer Geld auf dem Flomarkt zu verkaufen.

 

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