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7 Blutspuren

Andy Möller, Fußballgott! 4:2 haben unsere Jungs die Holländer nach Hause geschickt, und ausgerechnet ER, das personifizierte Versagen, ist Matchwinner, Dreamboy, Dribbelgoliath. Beide Mannschaften, schreibt Joe, starten nervös ins Spiel. Sicherheitsgekicke im Mittelfeld bei verstärken Abwehrreihen, unsere Spitzen hängen in der Luft, die holländischen probieren sich - hat mans denn anders erwartet? - als Schwalbenimitatoren. Eine Viertelstunde währt die Zumutung, Joe überbrückt sie mit einer Art Besinnungsaufsatz über die Freuden eines Niederlande-Urlaubs.

"Ich hatte noch Glück, daß sie mich nicht dem nächsten Laternenpfahl überantwortet haben. Es ist komisch, mit 'Nazi' tituliert zu werden, wo doch ausgerechnet ich seit meinem 14. Lebensjahr politisch-kritisch eingestellt bin und pausenlos davor warne, neonazistische Tendenzen in unserer Gesellschaft zu verharmlosen. Die skandalöse Beliebigkeit, mit der diese Flachländer den Schandnamen 'Nazi' verteilen, bleibt auch bei ihrer Methode, Fußball zu spielen nicht ohne Konsequenzen. Sie pervertieren ein eigentlich niemals genug zu lobendes Unterfangen - das elegante, schnelle, direkte Spiel - durch beständige Anwendung. Kommen Sie damit zum Ziel - schön für sie. Geraten sie jedoch an einen Gegner, der mit eigener Überlegenheit respektive Kampfkraft sich dem entgegenstellt - die Deutschen packens heute abend offensichtlich wieder nicht -, rasten sie vollkommen aus. Schau dir den Kluivert an! Verursacht einen Verkehrsunfall mit Todesfolge, vergewaltigt eine Frau und will jetzt als Krönung Matthäus, den alten Fuchs, per Beinschuss überlisten! Und schaffts auch. Lothar macht eine Vierteldrehung zu Kluivert, sein linkes Standbein verschiebt sich zur notwendigen und gar nicht zu beanstandenden Wiederherstellung der physischen Stabilität fast unmerklich nach aussen, und Kluivert, der nur darauf gewartet hat, lässt sich über das 'ausgestreckte Bein' fallen! Ha, wie er abhebt! Fliegt! Hadert! Und einen Freistoß herausschindet! Mauer bilden. Die Gebrüder DeBoer schauen sich an, geben sich Zeichen, wer anlaufen / täuschen, wer anlaufen / schießen soll. Laufen beide gleichzeitig los, auch Davids hinter ihnen setzt sich in Bewegung. Die DeBoers springen über den Ball, den Davids in die Mauer knallt, wo er Andy Möller - hahaha! - an delikatester Stelle trifft, in hohem Bogen Richtung Mittellinie fliegt. Dort steht Bierhoff, der aus dem allseits bekannten Grunde läuferischer Faulheit nicht mit zurückgekommen ist. Er angelt sich den Ball aus der Luft! Bierhoff! Man denke! Kein Abseits, weil im eigenen Strafraum! Und vorwärts, vorwärts, vorwärts! Torhüter van der Sar stürmt aus seinem Kasten, Bierhoff umkurvt ihn sa-gen-haft und locht ein. 1:0!"

Bis zur Halbzeit führt Deutschland 2:1: Schwalbe Möller im Strafraum, Klinsmann verwandelt den fälligen Elfer. Angriff der Holländer über links, Flanke Davids auf den Kopf von Cocu - 1:2. Gerangel beim Gang in die Kabinen. Die zweite Spielhälfte beginnt mit einem Paukenschlag. Möller, heimlicher Held des Matchs dank trampolinartigem Hodensack und mimischem Geschick, wagt ein Solo über das gesamte Feld und haut die Pille in den rechten Winkel. 3:1. Die Entscheidung? Holland mit wütenden Attacken, Köpke pariert großartig. Ideale Konterkonstellation, und in der 71. Minute ist es soweit: Die Holländer vertändeln den Ball (der Mölleresk versagende Bergkamp), Jeremies tankt sich durch, weiter auf Klinsmann, der lässt im Doppelpass mit Bierhoff den letzten holländischen Verteidiger (Stam) aussteigen, schiebt zum ebenfalls mitgelaufenen Möller, der schaut kurz hoch, wie Kant bei der Formulierung des kategorischen Imperativs - ein schneller, sich vergewissernder, den Triumph antizipierender Blick -, sieht den weit vor seinem Tor kauernden Van der Sar und überwindet ihn mit einem Heber, ach was, mit einer Bogenlampe! 4:1! Das zweite Tor der Holländer in der Nachspielzeit ist Ergebniskosmetik. Nächster Gegner: England oder Argentinien.

Rate jedem zu einem künstlichen Koma! Die Vorteile liegen auf der Hand: Wenn du von deiner Reise in die Nacht zurückkommst, erfährst du, was wahre Freundschaft ist. Meinsell, das berichtet Schwester Benedikta ("Son kleiner Feiner, nicht wahr?") hielt treu die Wacht an meinem Bett. Eine Minute lang, wenigstens, die Finger vor dem Genitalbereich verschränkt, Gedenkminute. Schiever hingegen vertrieb sich die paar Sekunden vor seinem bewusstlosen Mitarbeiter mit Taschenbillard: Hände in den Hosensäcken, die Nase hochziehend, seine obligatorische Sommergrippe. Beide hinterließen Literflaschen Traubensaft, das relativiert die Freundschaft bedauerlicherweise.

Etwas peinlich muss Petras Auftritt gewesen sein, die mir auf der Intensivstation beizustehen wünschte und der vom Pflegeleiter genannten Bedingung eines verwandtschaftlichen Verhältnisses ihr hysterisches "Lebensgefährtin!" entgegen schleuderte.

Der zweite Vorteil eines künstlichen Komas liegt darin, daß du eben solche Äusserungen nicht hören kannst. Die Geschichte findet gewissermaßen ohne dich statt. Massaker weltweit, spannende und langweilige Fußballspiele, wahrscheinlich sogar ein richtiger Atomkrieg: du kriegst nichts mit. Petra, um die Gewährsnonne abermals zu zitieren, verbrachte den Montagmorgen an meinem Bett, bevor sie zu einem Dreh im Umland musste. Eine frische gelbe Rose in der Blumenvase.

Der dritte und offenkundigste Vorteil zeitweiliger Nichtteilnahme am Leben manifestiert sich in einer sowohl körperlichen auch auch geistigen Erfrischung. Man hat gesunden Hunger, und das Essen schmeckt einem. Die Pfanne wird herbei geschleppt, da hat man selber schon den Hintern gelüftet und dirigiert die Lernschwester mit dem Gefäß auf den rechten Platz. Bandelt gar mit ihr an und ästimiert die doppelte Abfuhr als neckische Kurzweil.

Gestern nacht habe ich Gesine mühsam davon abhalten können, die Polizei einzuschalten. Nach dem Ärger mit denen! Als Petra ins Zimmer, an mein Bett stürmt - die Andy Möllerin der Menschenfreundlichkeit irgendwie - und der Frage nach meinem Befinden ("phantastisch!") gleich die nach der Vereitelung weiterer Attentate anhängt, da ist guter Rat teuer.

"Du spielst mit deinem Leben, weil du ein eitler Affe bist! Vier Mordversuche -"

" - die alle vier unglückliche Zufälle sein können."

"Auf einmal? Neulich warst du anderer Meinung."

"Beim armen Boskonz läuft es auf Magendurchbruch hinaus." (laut Gesine. Gift wurde keines nachgewiesen. Die Experten grübeln noch, wie es bei einem Magendurchbruch zu solch katastrophalen Auswirkungen kommen kann). "Und überleg doch: Die Pumpe auf volle Kraft zu drehen wäre ein stümperhafter, weil nur dank unwahrscheinlicher Umstände gelingen könnender Mordversuch. Ich schlafe fest, der Killer besitzt alle Möglichkeiten, mich auf tradierte und bewährte Weise auszuschalten. Stattdessen pumpt er einen Beutel voll, tz!" (Oder warnt mich nur: das letzte Mal, mein Guter...)

"Dir ist nicht zu helfen!"

"Doch. Durch dich. Habt ihr gefilmt?"

"Gestern nachmittag, als wir vom Dreh zurückgekommen sind. Egbert war daheim, hab ich vorher abgecheckt. Ist aber nicht rausgekommen. Muss uns gesehen haben. Nur seine kleine Tochter, acht oder neun, hat gefragt, was wir da machen."

"Und?"

"'Dein Papa kommt ins Fernsehen.'"

"Ausgezeichnet!"

 

 

 

Info zu Werner Boskonz Egbert Karl-Olaf Horst Gesine Krund Petra Malter Meinsell Andy Möller Wilfried Schiever
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Egbert
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Gesine Krund
Petra Malter
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Andy Möller
Wilfried Schiever

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