Langsam versank die Fadensonne hinter den idyllischen Ufern der Außenalster. Liebespaare krochen frierend aus den Büschen und machten sich auf den Heimweg, Ehepaare mit Kindern desgleichen, und von fern tönte das Signal eines hastigen Rettungswagens.
Niemand achtete auf den älteren, gut gekleideten Herrn, der sehr gemächlichen Schritts an den hurtigen Wassern vorbeipromenierte, sein Gesicht schnell zur Seite drehte, wenn ihm Entgegenkommende doch einen flüchtigen Blick zu schenken bereit waren.
Aus sehr gutem Grund. Denn es war kein geringerer als der berühmte Schauspieler Hans Jakob Rousseau, der hier spazierte, ein ansonsten wie alle seine Zunftkollegen beifallheischender Mensch, heute jedoch bestrebt, sein Inkognito zu wahren. Was war passiert?
Es hatte harmlos mit einem Brief begonnen, einem von unzähligen, die an Rousseau adressiert waren und sich zumeist als Beischlafanträge reiferer Damen entpuppten. Der Schauspieler registrierte diese Schreiben mit wachsendem Ekel und Entsetzen. Schon der Gedanke an einen verwelkten Körper ließ ihn die Lendenlust verfluchen, welche doch von Zeit zu Zeit von ihm Besitz ergriff, und wenn die Damen dann auch noch Bargeld aus der Ferne winken ließen (»Verfüge ich über beträchtliches Vermögen, welches wir beide auf einer karibischen Insel verbraten können.«), erbleichte das sonnenstudiobraune Antlitz des Künstlers und nur noch ein kräftiger Schluck DOPPELHERZ hielt ihn auf den Beinen.
Besagter Brief jedoch war anders gewesen. Er bestand aus einem Foto, welches eine weibliche Brust in zwei Zuständen zeigte: »vor der Operation« und »nach der Operation«, wie mit dickem schwarzen Filzstift darunter geschrieben stand. Rousseau musste zugeben, dass schon die Möpse vor der Operation eine Sünde wert sein mochten. Aber erst die Dinger danach! Perfekte Bälle, prall wie das Leben selbst! Mein Gott, Titten wie aus dem Paradies!
Unter den Abbildungen stand ein einziger Satz: »Sie können beide haben, wenn Sie am morgigen Dienstag kurz vor 15 Uhr an der Außenalster spazieren gehen und auf eine junge Dame – die Trägerin oben gezeigter Möpse – stoßen, welche eine rote Rose in der linken Hand hält, diese Dame mit dem Codewort ‚Usbekistan' begrüßen und dann nicht scheuen, sich auf das Erregendste einzulassen, was einem alternden Herzensbrecher passieren kann, und zwar im Hotel »Hügel», wo ich uns ein Zimmer reserviert habe!«
Noch einmal, vielleicht ein letztes Mal waren die Säfte im Rousseau'schen Körper ins Brodeln geraten. Außerdem hatte er drehfrei und befand, ein kleiner Spaziergang tue ihm gut.
Auch in das gemütliche Heim des Schlagerstars Michaela war ein merkwürdiger Brief geflattert. Soeben hockte sie am Küchentisch und hatte beschlossen, eine Liaison mit dem auch »das Tier» gerufenen Fußballnationaltorhüter mache wohl keinen Sinn, weil der, sobald er einen Ball sah, mit aller Gewalt zugriff und das Ding nicht mehr los ließ, bis ihm der Schiedsrichter wegen Zeitschindens die gelbe Karte unter die Nase hielt. Dann begann sie ihre Fanpost zu öffnen.
Auch ihrem mysteriösen Brief lag ein Foto bei, eine Autogrammkarte des berühmten Dr. Prunkmann aus der Schwarzfußklinik, den sie, Michaela, als Kind schon bewundert hatte. Ein beigelegter Zettel enthielt folgende, mit schwarzem Filz gepinselten Worte:
»Liebe Michaela. Wenn Sie die schönsten Titten der Welt haben wollen, Titten, mit denen Sie jeden Grand Prix dieses Universums gewinnen können, dann finden Sie sich bitte auf der Promenade an der Außenalster ein. Tragen Sie eine rote Rose in Ihrer Linken und halten Sie nach mir Ausschau. Sie werden es niemals bereuen. Ich habe im Hotel »Hügel« ein Zimmer vorbestellt, wo dann die erste Untersuchung vorgenommen werden kann. Hochachtungsvoll Ihr Professor Dr. Prunkmann, Facharzt für Brustverschönerung und Gynäkologie.«
Zwar schwor jedermann, der ihrer ansichtig wurde, Michaelas Brüste seien die schönsten unter der Sonne. Doch – und hier hatte Dr. Prunkmann den Finger in eine quasi offene Wunde gelegt – war es ihr nicht gelungen, den Grand Prix d'Eurovision de la Chanson damit zu gewinnen. Sie fand es auch sonderbar, dass auf Englisch »große Titten« »Grand Prix« hießen und noch sonderbarer, dass die ihrigen mit Abstand die schönsten des Abends gewesen waren, ohne allerdings den verdienten Lohn einzufahren. Den Grand Prix aber musste sie gewinnen, das war ihr Lebensziel. Sie würde ein Weltstar werden, eine Menge Geld verdienen und ihre bedauernswerte, am Rande der Asozialität dahin vegetierende Familie endlich standesgemäß ernähren können. Dafür war sie jedes Opfer zu bringen bereit, und ihr Entschluß, sich unter das aus Film, Funk und Fernsehen bekannte Messer zu begeben, war Sache eines Augenblicks.
Endlich standen sie sich gegenüber. Sofort war Rousseau fasziniert von diesem Wesen, zumal es ihn, den Mimen, mit »Herr Professor« angeredet hatte, ein Titel, der Rousseau zustand, wie er selbst fest glaubte.
Auch Michaela war von Prunkmann beeindruckt, der sie mit Arztaugen musterte und dabei jene Seriosität ausstrahlte, die nur ein Arzt während seines Studiums lernt. Dass er unablässig in ihren Ausschnitt stierte, bekräftigte sie in ihrer guten Meinung vom Berufsethos des Mediziners, der sich den Objekten seiner Kunst sogleich und ohne Verzögerung zu widmen pflegte.
»Die sind aber schön!«, stöhnte Rousseau und wog eine in seiner Rechten.
»Ja«, bestätigte Michaela, »aber die sollten noch schöner sein, wenn eine Kapazität wie Sie sich ihrer annimmt.«
Rousseau stöhnte abermals. Deswegen war er hier, das Hotel »Hügel« nicht fern, und dass eine junge, betörende Frau ihn als Kapazität bezeichnete, obwohl doch die meisten glaubten, er pfeife jeden Abend eine Familienpackung Viagra ein, um seinen Strullermann zum Pinkeln aus der Hose zu bekommen, das schmeichelte ihm gewaltig.
Unruhig und voller süßester Gedanken strebte man dem Hotel »Hügel« zu, wo man den Herrn Professor und seine Begleiterin sogleich erkannte und in die »Hochzeitssuite« führte, die alles bot, was der Mediziner für die bevorstehende Operation benötigte: ein breites Bett. Eine Flasche Champagner stand gut gekühlt bereit, um vor dem Eingriff getrunken zu werden.
»Machen Sie sich frei«, hauchte der Arzt und begann sich selber frei zu machen. Michaela liebte unorthodoxe Methoden außerhalb der Schulmedizin. Sie entblätterte ihren perfekten Körper zur Gänze und legte sich, ein Glas der prickelnden Flüssigkeit in der Hand, auf das Bett, welches der erregte Rousseau mit einem jugendlich dynamischen Sprung enterte. Ohne weitere Umstände griff er sich eine Hälfte des Paradieses und begann an dem großen roten Nippel zu saugen.
»Sie nehmen Ihre Arbeit ernst.«, lobte Michaela den Alten und fuhr ihm durch das noch volle Haupthaar. Ihr war eingefallen, dass sie hier eine Privatbehandlung genoss, die sicher einiges an Geld kosten würde. Es lag also nahe, zu Dr. Prunkmann ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen, das sich mildernd auf die Honorarforderung auswirken würde. Langsam entglitt das Champagnerglas ihrer Hand, und das goldene Nass ergoss sich über den seidenen Bezug der Bettdecke...
Das ist die Gesundheitsreform, dachte Michaela. Alles geht rasend schnell. Des Doktors Methode, ihren Hormonhaushalt zu messen, erinnerte die sympathische Sängerin vage an die Dinge, die Mann und Frau tun, wenn sie sich ganz, ganz lieb haben oder einen Stammhalter herstellen wollen. Es hatte aber überhaupt nicht weh getan, und der Doktor lag nun schwer atmend neben ihr.
Dezent klopfte es an die Tür. Auf Michaelas gehauchtes »Herein!« öffnete sich diese und ein livrierter Kellner brachte auf einem Rollwägelchen zwei goldene Tellerchen, die je einen gigantischen fleischfarbenen Wackelpudding mit einer Kirsche am höchsten Punkt trugen. Michaela klatschte begeistert in die Hände.
»Ja! Genauso sollen sie aussehen!«
Der Kellner entfernte sich so diskret, wie er gekommen war, nicht ohne einen guten Appetit zu wünschen bei dem, was er »die Spezialität des Hauses« nannte. Mühsam erhob sich der Professor und schaute auf die Pracht. Ihm war die Lust auf Spezialitäten solcher Art momentan ein wenig gedämpft, obgleich er, seine nackte Nebenfrau taxierend, sich vorstellen konnte, spätestens in drei Wochen ein neues Abenteuer mit ihr zu wagen.
»Kommen Sie, Herr Professor, die müssen wir probieren!«
Schon war Michaela dem Bett entsprungen und hatte ein zierliches Gäbelchen in der Hand. Rousseau folgte ihr unter Mühen, wobei er seine Arthritis ebenso verfluchte wie seine verrutschte Bandscheibe.
»Na, dann wollen wir mal«, lachte der Arzt, nahm sich ebenfalls eine Gabel und stach in seinen Pudding...
»Wie bitte....!?« In Krawuttkes Gehirn überschlugen sich die Gedanken. »In einem Wackelpudding? Plastiksprengstoff? Zwei zerfetzte nackte Leiber? Der beliebte Schauspieler Rousseau und die talentierte Sängerin Michaela? Hotel »Hügel«? Haben Sie Westwall erreicht? Er soll sofort kommen! Ich bin schon unterwegs!«
Zitat des Tages
«Ein Kriminalroman in Fortsetzungen ist nur selten ein guter Kriminalroman. Die Wirkung der einzelnen Textraten beruht auf dem Umstand, daß man die nächste Rate noch nicht hat. Liest man sie alle hintereinander, so bereitet einem die so erzeugte falsche Spannung nur noch Verdruß.»
(Raymond Chandler)
This day in crime history:
Song des Tages
Junior Murvin: Police And Thieves
»Police and thieves in the streets
Oh yeah!
Scaring the nation with their guns and ammunition
Police and thieves in the street
Oh yeah!
Fighting the nation with their guns and ammunition«