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Crime School: Lektion 3

Heute arbeiten wir aus, was in der letzten Stunde besprochen wurde und beginnen damit eine kleine Reise durch die Geschichte des Kriminalromans, seiner Regeln und seiner Autoren, die sich nicht an diese Regeln gehalten haben.

Zunächst jedoch: Der Schüler Zander hat zu Recht moniert, dass der in Lektion 1 genannte „Mister Dynamit“ nicht beim BKA, sondern beim BND angestellt war. Auch gefällt ihm der Ausdruck „Heftchengott“ nicht, denn „Mister Dynamit“ sei ausschließlich im Taschenbuch erschienen. Genaugenommen hat Zander natürlich auch hier Recht; mit „Heftchen“ meine ich aber all das, was „Pulp“ genannt werden kann. Trotzdem: Ein Fleißkärtchen für den Schüler Zander, und nun weiter im Text.

In der letzten Stunde haben wir gelernt, dass ein Text zunächst ohne Bezug zur Zielgruppe auskommt. Er ist ein noch unförmiges Konstrukt im Kopf seines Autors, eine Kette aus vagen Ideen, vielleicht schon im Korsett einer grobkörnigen Story, mehr noch nicht.

Je weiter dieses Konstrukt reift und Gestalt annimmt, desto dringlicher wird der Ruf nach den Schnittstellen, die Text und Leser in Verbindung bringen und ein Gespräch zwischen beiden Instanzen erlauben. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die Story mit all ihren Erzählfäden und –ebenen konstruiert werden muss, Dramaturgie und Sprachduktus zu wählen sind. Der Text wird „beredt“ gemacht, er erhält eine Stimme.

Einige unserer fleißigen Schüler haben dankenswerter Weise die große Pause nicht dazu genutzt, auf dem Klo zu rauchen oder Damenunterwäsche in der Umkleidekabine der Turnhalle zu mopsen, sondern machten sich → Gedanken, wie solche Schnittstellen aussehen könnten. Ihre Überlegungen zielen, naheliegend, auf den Einsatz des Krimigenres, postulieren hier aber, es sei notwendig, auf Wirklichkeitsnähe und strenges Regelwerk zu achten. Das ist, wie gesagt, löblich, Jungs; auch ihr bekommt eure Fleißkärtchen. Dennoch werden wir sehen, dass „Wirklichkeit“ eine Schimäre ist und Genreregeln nur der erste Schritt zum versatzstückhaften Zimmern völlig pointenloser Literatur.

Wilhelm Raabe – der Trickser
Es lohnt sich immer, den großen Meistern über die Schulter zu schauen und zu beobachten, wie sie es denn angefangen haben. Den ersten Krimikönner hat mir der Zufall vor kurzem in die Hände gespielt: Wilhelm Raabe. Raabe ein Krimiautor? Die Literaturgeschichte weiß davon nichts, aber das soll uns nicht weiter überraschen.

Wir stellen uns Herrn Raabe nächtens an seinem Schreibtisch vor. Man schreibt den 4. Dezember 1888, wir befinden uns im gutbürgerlichen Braunschweig. In des Autors Kopf beginnen sich vage Ideen langsam zu formieren. Einen Roman möchte er schreiben, in dem sich zwei Außenseiter der Gesellschaft finden und, nach allerhand Mühsal, ein zurückgezogenes, aber doch erfülltes und idyllisches Leben führen können. Das Thema dieses noch ungeschriebenen Romans hat Raabe schon in früheren Arbeiten beschäftigt, vorzüglich in „Abu Telfan“ von 1868. Auch dort geht es um bürgerliche Enge, das brutale Diktat der Mittelmäßigkeit und das letztendliche Scheitern jedes Individuums, das nicht ins Raster dieser ehrenwerten Gesellschaft passt.

Der neue Roman variiert das Thema an entscheidender Stelle. Zwar bleiben bürgerliche Wohlhäbigkeit und Verlogenheit nach wie vor erkennbar, doch im Mittelpunkt stehen die beiden „Outsider“ und ihre erfolgreichen Bemühungen, eine Insel in diesem Meer der Dummheit zu besetzen, um dort zu überleben.
Raabe konstruiert nun die erste dieser beiden Hauptpersonen, den dicken, gefräßigen und, so seine Umwelt, dummen Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen. Dieser fühlt sich zur „Roten Schanze“ hingezogen, einer ehemaligen Festung, die jetzt ein landwirtschaftliches Anwesen ist, auf dem der Bauer Andreas Quakatz und seine Tochter Valentine hausen.

Hübsch; aber jetzt überlegt sich Raabe etwas, das völlig aus der Reihe fällt. Er bedient sich des Krimigenres, um die beiden Bewohner der „Roten Schanze“ zu Ausgestoßenen werden zu lassen. Der alte Quakatz nämlich wird als angeblicher Mörder eines gewissen Kienbaum verdächtigt, mehrmals verhaftet, doch immer wieder entlassen, weil man ihm die Tat nicht beweisen kann.

Noch befinden wir uns ganz auf dem Boden des Genres und seiner Regeln. Es sei aber wenigstens erwähnt, dass der Kriminalroman im Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts noch keine wirkliche Tradition hat, im Gegensatz zu England mit seinen gothic novels und seinem famosen Wilkie Collins. In Deutschland dient das Mysteriöse, das Böse wohl seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer wieder als willkommene Folklore, etwa in den zahlreichen Romanen mit ihren Geheimlogen und deren dunklem Treiben (Schillers „Geisterseher“ wäre zu nennen, aber auch Jean Pauls „Die unsichtbare Loge“). Raabe ist also, was Regeln betrifft, ziemlich ungebunden – und er nutzt diese Freiheit ebenso schamlos wie genial.

Denn was im Verlauf der Geschichte passiert, widerspricht allem, wirklich allem, was wir heute unter den Grundregeln für einen guten Krimi verstehen. Zunächst: Das Verbrechen an Kienbaum wird mit keinem Wort erläutert. Wir erfahren buchstäblich nichts über die Tat, die Umstände, das Opfer. Stopfkuchen selbst erzählt anlässlich des Besuches eines Jugendfreundes die Geschichte seine „Eroberung der Roten Schanze“ nebst deren Jungerbin Valentine, und dabei fällt der Name Kienbaum so ziemlich auf jeder dritten Seite – mehr aber nicht!

Und wie dieser Stopfkuchen erzählt! Aus- und abschweifend, manchmal in knappen Rätseln, meistens jedoch vom Hundertsten ins Tausendste kommend, sodass seine beiden Zuhörer, der Jugendfreund Eduard und Frau Valentine, ihn ständig ermahnen müssen, doch beim Thema zu bleiben. Dann irgendwann, sehr beiläufig, erwähnt Stopfkuchen, er habe das Rätsel um Kienbaums Mörder gelöst! Aha, jubeln Zuhörer und Leser, endlich! Wir kriegen doch noch einen veritablen Krimi! Vergesst es! Stopfkuchen erzählt ungerührt weiter und erst auf den letzten Seiten des Romans präsentiert er die Auflösung.

Aber etwas Wunderbares ist geschehen! Wir, die Leser, haben uns fangen lassen von diesen ständigen Kienbaum-Erwähnungen, es hat uns in diesen zunächst doch mit einiger Schwierigkeit zu lesenden Roman gezogen. Was wir gefunden haben, ist, ja doch, liebe Schüler, WIRKLICHKEIT! Nicht etwas Kurzlebiges aus dem 19. Jahrhundert, sondern etwas sehr Zeitloses. Es geht um Außenseitertum, darum auch, wie einer, der ausgestoßen wurde, langsam verrückt wird (der alte Quakatz nämlich) und ein anderer, der ein nützliches Glied der Gesellschaft ist, vor seiner Schuld im wahrsten Sinne des Wortes davonläuft und eine Normalität aufrecht erhält, die es doch nicht gibt.

Raabe verwendet hier also das Genre „Krimi“ gegen alle uns heute geläufigen Regeln. Er nutzt es meisterlich, um uns mit dem Text sprechen zu lassen, der uns tatsächlich sehr viel zu erzählen hat.

So, Jungs und Mädchen, genug für heute. In der nächsten Lektion zeigen wir einen anderen Großmeister und wie er mit den Ingredienzien eines Krimis umgegangen ist. Ihr werdet Bauklötze staunen und Bewunderung kotzen!
Kommentare wie stets an unsere Schulmail-Adresse!

dpr

22. März 2005

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