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Crime School - das Partywissen -1-

crime_school_new.jpg

Was ist das eigentlich, Krimi? Wo kommt er her, wie hat er sich entwickelt, was sollte ich wissen, wenn mich jemand danach fragt? Die zweite Staffel der „Crime School“ möchte das Wissen vermitteln, das Sie zum Mittelpunkt jeder Intellektuellenparty macht, wenn die Stimmung feuchtfröhlich ist und die Sitten so enthemmt sind, dass man auf „das Kulturelle“ zu sprechen kommt. Partywissen. Aber nicht nur. Was wir hier in loser Folge erörtern, dient auch als Grundlage einer papiernen „Crime School“, die im nächsten Jahr erscheinen soll. Didaktisch aufbereitet, tiefergehend. Wer unseren Internetkurs besucht, wird sich das nötige Basiswissen erarbeiten können, um dann mit Hilfe des Buches darauf aufzubauen. Beginnen wir mit einer sehr leidigen Frage: Was war eigentlich der erste deutsche Krimi? Gab es das überhaupt vor Friedrich Glauser? Krimis? Ein Überblick, der nicht alles erklären kann, aber einen Rahmen um die disparaten Dinge legt.

Zugegeben: Die Frage nach „dem ersten deutschen Krimi – Sie sind doch Experte, gelt?“ gehört nicht zu den üblichen, mit denen man bei gesellschaftlichen Anlässen konfrontiert wird. Da müsste einer schon viel Alkohol intus haben – aber noch besoffener müsste man sein, die Frage mit einem souveränen „Ja, also das war...“ beantworten zu wollen. Gehen wir also ganz nüchtern, ganz systematisch vor.

Es ist zunächst eine Abgrenzungsfrage. Wann reden wir von „Verbrechensliteratur“ (Antike, Shakespeare, Schiller und Co.), wann von „Krimi“? Antwort: Verbrechensliteratur thematisiert das Verbrechen als Vehikel für Moralisch-Aufklärerisches - Krimi hingegen macht die Untersuchung und Aufklärung von Verbrechen zum zentralen Sujet. Das klingt einleuchtend – ist es aber nicht, gerade die frühe deutsche Kriminalliteratur wird sich, wie wir noch sehen werden, nicht entscheiden können, was sie eigentlich sein will – etwas, das sie mit der heutigen Kriminalliteratur verbindet. Die wirklich revolutionären Krimis besitzen daher noch ein anderes Merkmal: Sie machen das Verbrechen zum reinen Denksport, zum baren Thrill. Kurz: Sie sind durch und durch trivial.

Der diese Entwicklung auslöste, war ganz und gar nicht trivial: Edgar Poe. Und doch schuf er die Blaupausen: Es gibt einen Ermittler, es gibt ungelöste Kriminalfälle, und der Ermittler – ein Privatgenie – löst diese Fälle dank seiner induktiven und deduktiven Fähigkeiten. Der Leser vermag dies theoretisch nachzuvollziehen, er steht wie der Ermittler vor einem Rätsel, er wird in Spannung versetzt, er kombiniert selbst, ohne natürlich die Klasse des Ermittlers zu erreichen. Dieser stützt sich auf Indizien. Das ist ganz wichtig. Er ist Positivist, er glaubt an die Erklärbarkeit des „Realen“, verkörpert ergo den Typus des Beherrschers einer immer komplexer, weil technisierter werdenden Welt.

Hier nun flechten wir lächelnd ein: Poe, schön und gut. Aber bereits 1828 gab es eine deutsche Novelle, die solche genregenerierenden Basiskonstrukte vorwegnahm: →Adolph Müllners „Der Kaliber“. Ganz kurz: In „Der Kaliber“ steht ein Untersuchungsrichter vor der Aufgabe, den Mord an einem Kaufmann aufzuklären. Das Verbrechen geschieht in dunklem Wald, eine Räuberbande ist ganz offensichtlich involviert, der Begleiter des Ermordeten, sein Bruder, kann fliehen und die Tat zur Anzeige bringen. Völlig überraschend ist es dieser Bruder, der die Ermittlungen obsolet werden lässt, denn er gesteht, selbst der Täter zu sein. Den Ermittlungsrichter hätte also lediglich die Frage des Vorsatzes zu interessieren: Unglückliche Umstände oder geplanter Mord (die Brüder konkurrieren um eine Frau – das dürfte immer Motiv genug sein)? Doch jetzt wird es modern, der Ermittler nämlich vermag sich für keine der naheliegenden Versionen zu erwärmen, er sucht nach FAKTEN, nach Indizien – und findet sie schließlich in Form der Todeskugel und deren Kaliber.

Müllners Novelle könnte also mit Fug und Recht als „erster deutscher Krimi“ bezeichnet werden, Schule indes macht sie nicht. Noch war das „Genre“ ein zartes Pflänzlein, nicht in dem Maße standardisiert, als dass überhaupt von einem solchen Genre die Rede hätte sein können. Müllners Ermittler ist keine Identifikationsfigur, kein kombinatorisches Genie, eher ein bedächtiger Arbeiter, das Ganze zu wenig „trivial“, um als role model zu taugen. Dieses wiederum entwickelt sich, ausgehend von Poe, tatsächlich im angelsächsischen Raum, Stichwort Conan Doyle, und kapert sehr rasch und endgültig auch den deutschsprachigen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist Deutschland das Land der Sherlock-Holmes-Klone, ein gutes halbes Jahrhundert Eigenständigkeit ist – bis auf den heutigen Tag! – verschüttet. Und lohnte es doch, wieder ausgegraben zu werden.

Denn es gibt eine deutsche Krimitradition! Sie geht einher mit der Trivialisierung, diese wiederum ist dem Aufkommen der Familienzeitschriften Mitte des 19. Jahrhunderts geschuldet. Allerdings ist diese Trivialisierung, also das Bestreben, profan und spannend zu unterhalten, selten so ausgeprägt, dass sie als „Trend zum Genre“ zu bezeichnen wäre. Natürlich gibt es furchtbaren Schund, herrlich-grausige Schmonzetten, aber eben auch den „anspruchsvollen Kriminalroman“, den „mehr-als-Krimi“, jenen Bastard Verbrechensliteratur meets Crime also. Nebenbei: Die Bezeichnung „Kriminalroman“ dürfte, wenn man mich nicht eines Besseren belehrt, auf →„Zahlheim – Ein Wiener Criminalroman“ des Österreichers Adolph Bäuerle (1856) zurückgehen, ein Fall aparterweise, den wir heute „true crime“ nennen würden. Aber da beginnt schon das nächste Problem mit dem Deutschkrimi. Denn nicht überall dort, wo „Krimi“ draufsteht, ist auch Krimi drin und, noch schlimmer, häufig steht eben NICHT Krimi drauf, wo Krimi drin ist. Da hilft auch das äußerst verdienstvolle Werk Mirko Schädels, die →„Illustrierte Bibliographie der Kriminalliteratur“ nur bedingt weiter, denn natürlich konnte auch dieser Berserker nicht sämtliche Romanliteratur des 19. Jahrhunderts durchforsten, um alles „Krimirelevante“ ans Tageslicht zu befördern.

Zurück zur deutschen Krimitradition. Die Familienzeitschriften sind wichtig, sagte ich, „Die Gartenlaube“ an erster Stelle und hier, ganz vorne, die Novellen von →J.D.H. Temme. Temme will unterhalten (weil er Geld verdienen muss), aber er schwenkt nie auf das zukunftsträchtige Gleis des „Ermittlergenies“ und des „Kriminalfalls um des Rätsels und seiner Auflösung Willen“ ein, er ist immer auch Zeit- und Justizkritiker, Aufklärer, politisch interessierter Autor. Gleichwohl ist Temme auch als Stilist zukunftsweisend, sein „In einer Brautnacht“ der erste „noir“ der Krimigeschichte.

Überhaupt ist das „gesellschaftskritische“ Element deutscher Kriminalliteratur zwischen etwa 1850 und 1880 so evident, dass man es unbedingt erwähnen muss. Einige der Autoren (Temme, →Streckfuß) waren Opfer der Restauration, Protagonisten des 1848er Aufstands, andere nutzten den Kriminalroman als Plattform, ein relativ breites Publikum mit den maroden Zuständen der Gesellschaft, der Politik bekannt zu machen. Hier sei eine FRAU vor allen anderen genannt, Emilie Heinrichs mit ihren „Roman aus der Gegenwart“ (also NICHT „Kriminalroman“ und folglich bei Schädel auch nicht verzeichnet) von 1866, „Leibrenten“. In ihm spiegeln sich Glanz und Elend der deutschen Kriminalliteratur geradezu paradigmatisch wider.

In „Leibrenten“ geht es um eine Reihe von Verbrechen. Man versucht, einen sehr tumben Landadligen um seine Liegenschaften zu bringen (der Titel „Leibrenten“ bezieht sich darauf), eine Frau wird erpresst, innerhalb eines Duodezfürstentums wird mächtig intrigiert, ein Mann wird aus Habgier ermordet (der Fall wird nicht aufgeklärt), ein anderer aus politischen Gründen (ebenfalls unaufgeklärt). Es gibt keinen Ermittler, aber einen Protagonisten, der zeitweise in die Rolle des Ermittlers schlüpft. Er ist aber kein „Übergeist“, sondern ein ehemaliger, im Dienste seines Vaterlandes zum Krüppel geschossener Ex-Offizier, und er scheitert auf tragische Weise, während die Überlebenden – die Opfer – am Ende resigniert den deutschen Zuständen den Rücken kehren und nach Amerika auswandern. Zusammengehalten wird das Ganze von diversen Liebesgeschichten, die aber niemals vor Schmalz triefen. Summa: Ein vorzüglicher KRIMINALROMAN, der seiner Zeit weit, weit voraus ist, ein Protagonist von Marlowe-Format, eine Story, die, wäre sie von Henning Mankell, einem heutzutage von allen krimisüchtigen Tinis und Binis aus den Händen gerissen würde – allein: vergessen.

Vergessen auch der eher „psychologische“, dabei jedoch zumeist auch „gesellschaftsrelevante“ Strang der deutschen Krimientwicklung, von Carl von Holteis →„Schwarzwaldau“ (1856) bis Ernst von Wildenbruchs →„Das wandernde Licht“ (1893). Kriminalromane, die, heute veröffentlicht, sämtliche Glauser- und DKP-Plaketten abgreifen würden – believe it or not.

Fassen wir fürs erste zusammen: Die Geschichte des deutschen Kriminalromans beginnt mit Adolph Müllners „Der Kaliber“, die Trivialisierung zum „Genre“ mit dem Aufkommen der Familienzeitschriften um 1850. Die eigentlichen „Kriminalromane“ vermögen sich indes nicht vollständig von ihren „aufklärerischen Wurzeln“ (Verbrechensliteratur!) zu lösen, das Rätsel- und Thrillpotential voll auszuschöpfen. Sie sind sehr wohl AUCH Unterhaltungsliteratur, verpassen jedoch den Durchbruch zum „Krimi“, wie er in England mit Conan Doyle gelingt, dessen Einfluss wiederum die eigentliche deutsche Tradition fast vollständig verschüttet.

Im Doyle-Gefolge entstehen im deutschsprachigen Raum Krimis mit „Serienhelden“ a la Holmes (zu nennen die beiden ÖsterreicherInnen →Auguste Groner und →Balduin Groller), eine Tendenz, die sich nach dem 1. Weltkrieg fortsetzt (etwa mit →Walther Kabels Seriendetektiv Harald Harst – es gibt zudem Sherlock-Holmes-Theaterstücke, u.a. von →Ferdinand Bonn, sowie Sherlock-Holmes-Parodien, die wohl schönste stammt von Robert Kohlrausch, „In der Dunkelkammer“, 1903). Spätestens mit dem – vor etwas mehr als 100 Jahren! – auch in Deutschland eingeführten Heftroman („Sherlock Holmes – Aus den Akten des Weltdetektivs“, „Nick Carter“, „Percy Stuart“) ist die Entwicklung zum Trivialen endgültig abgeschlossen, das Genre „anglisiert“, als Schund abgestempelt. Auch die in den Zwanzigern dem Krimi zuteilwerdende Anerkennung von Seiten der Hochliteratur (Brecht, Bloch u.a.) vermag daran nichts zu ändern. Minderwertig bleibt minderwertig.

Für die Erfolglosigkeit der frühen Jahre entscheidend ist jedoch vor allem, dass der deutsche Kriminalroman zwischen 1850 und ca. 1890 irgendwo zwischen dem Trivialen und dem „Literarischen“ eingeklemmt bleibt – und so von beiden Seiten (Lesern, Literaturwissenschaftlern) nicht vereinnahmt wurde. Für die einen zu anspruchsvoll, für die anderen zu gewöhnlich. Nur vereinzelt schaffen es solche Krimis in den Kanon der Hochliteratur, bekanntestes Beispiel: Theodor Fontanes „Unterm Birnbaum“, in der „Gartenlaube“ erstveröffentlicht.

Die Folge: Forschungsnotstand. Die Aufgabe: forschen. Denn das ist die traurige Wahrheit: Alles was wir heute über die Tradition der deutschen Kriminalliteratur sagen können, ruht auf lückenhaften Fundamenten. Noch. Nur eines ist sicher: Der deutschsprachige Krimi begann nicht mit Friedrich Glauser.

(eine Ausarbeitung dieser Schulstunde findet man in „Crime School – das Buch“. Hier schon mal vorbestellen)

Und in der nächsten Stunde: Sagen Sie mal, mein Bester – Genre. Muss es das überhaupt geben? Wollen Sie wirklich Edgar Wallace und Theodor Fontane, Jerry Cotton und Philip Marlowe in einem Atemzug nennen? – Aber ja doch, meine Liebe! DAS ist doch gerade das Spannende!

dpr

16. Mai 2007

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