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Kapitel III

wickius_forts_cover.jpg

Was bisher geschah: Eine ganze Menge! Ein berüchtigter Krimiblogger wird ermordet in seinem Loft aufgefunden – als Schneemann verpackt. Anna Beller, ebenso ehrgeizige wie psychisch bedenkliche Kommissarin, übernimmt den Fall. Sie lebt in – leider – platonischer Wohngemeinschaft mit Horatio Wickius, dem legendären Exkommissar und jetzigen Ebenfalls-Blogger. Zwischen den ständigen sexuellen Belästigungen, die ihm die Beller zuteil werden lässt, beschäftigt sich Wickius mit dem Mordfall, jetzt gerade mit einer mysteriösen Liste, die in der Wohnung des Toten aufgefunden wurde.

75 Grad heißes Badewasser. Wickius jauchzte vor Schmerz, als er seinen Körper in das von geschmolzenem BISKIN-Bratfett ölig gewordene Nass tauchte. Es war kurz nach drei Uhr morgens, alles still bis auf das Bellersche Gehirn, das in der Küche laut nachdachte. Die Beller. Wickius jammerte vor Lust. Ihretwegen begab er sich von Zeit zu Zeit in diese kochende, stinkende Brühe, die alles abtötete, was seinen sündigen Leib in Versuchung führte, weshalb Wickius die Prozedur auch als sein ZÖLIBAD bezeichnete. Stieg er sodann, nach einem guten Stündchen, endlich aus der Wanne, war er fit für einen längeren erektionsfreien Klosteraufenthalt unter Brüdern.

So hockte er im Wasser, in seinem Kopf hingegen sprangen die Ereignisse der Nacht aufgeputscht im Dreieck. Der angebliche Neffe, den er als „Praktikant“ in die Bellersche Abteilung eingeschleust hatte, und der in Wirklichkeit niemand anderes war als Enrico Murkoni, der schleimige Eintänzer aus dem „Tango Argentina“; einer schlüpfrigen Szenebar für einsame Frauenherzen, dieser Neffe also war enttarnt worden und mithin nicht mehr in der Lage, die Bellersche Sexualnot auf eine für Wickius angenehme Art und Weise zu beheben. Jetzt hockte der Bursche wohl in der Registratur, außerdem hatte sich Anna Beller sowieso nicht für ihn interessiert, sie stand auf gereifte Männer, die imstande waren, Sex auch kopfmäßig zu zelebrieren und lieber mit dem Haupt als mit dem Hintern wackelten.

Aber das war eine Petitesse gegenüber jener mystiösen Liste aus dem Besitz des frischermordeten Bloggers „Der Unfassbare“, jener Liste, über die Horatio Wickius und Anna Beller kurz nach ein Uhr ihre Köpfe gebeugt hatten, um die merkwürdigen Einträge zu studieren. Zuvor hatte Wickius das Blatt Papier vorsichtig in beide Hände genommen, hochgehoben und mit der Spitze seiner Nase berührt.

„Geheimtinte“, stellte er fest, „das riecht man an der Mixtur. Wird erst nach geraumer Zeit sichtbar. Zuletzt 1954 im Fall eines Bücherraubs benutzt, erfunden wohl um 1800 in einer Rentenbetrugssache.“

Die Beller verdrehte frustriert die Augen. Wieder diese Wickiussche Allwissenheit, wo bei anderen die Erinnerungen an one-night-stands saßen, hockten bei dem die Krimidetails. Na, sollte Giorgio recherchieren, zu etwas mehr als Kaffeekochen würde der vielleicht auch gut sein.

Dann besah sich Wickius die Faltung des Blattes.

„Hm...“, sinnierte er, „natürlich hast du das Blatt zweimal gefaltet, damit es besser in deine Tasche passt.“ Es klang wie Tadel, doch die Beller tat, als habe sie ihn überhört. „Aber es sind weitere Falze zu erkennen....hm...seltsam...es sieht so aus, als sei das Blatt früher zu einem Papierflieger gefaltet worden.“

Die Beller sagte desinteressiert: „Is ja hochinteressant“ und sah zu, wie Wickius das Blatt an den alten Linien noch einmal zusammenfaltete. Tatsächlich: ein Papierflieger.

„Nun, ich stelle mir folgendes Szenario vor“, stellte sich Wickius folgendes Szenario vor: Die Liste sei in höchster Not erstellt worden – in akkurater Druckschrift, sah aus wie getippt, wars aber nicht. Geschrieben mit jener jedem Kenner der deutschen Literaturgeschichte geläufigen Tinte – also, jetzt mal ganz spekulativ: die Schrift sollte erst einen Tag später auf dem Papier sichtbar werden, demnach habe die Gefahr gedroht, dass ein unbefugtes Auge darauf geworfen werden konnte. Hernach sei das Blatt in soeben demonstrierter Weise gefaltet und wahrscheinlich durch ein Fenster ins Freie entlassen worden. Ergo müsse der Schreiber ein irgendwo Gefangener sein – oder GEWESEN sein.

Abermals verdrehte Anna Beller das Rehhafte ihres Augenpaares.

„Bisschen viel Spekulation, würde ich meinen. Lesen wir doch mal lieber, was auf der Liste steht.“

Und sie lasen.

„Friedrich Ani = Josef Ratzinger aka Papst Dingsbums der Soundsovielte
Horst Eckert = Oberbürgermeister von Düsseldorf
Jan Seghers = Dreigang-Damenfahrrad
Anobella = Claudia Roth“ ---

Anobella! Im Bellergesicht erblühten rote Zornespusteln. Das war doch diese ihr Namensähnliche, die Wickius immer mit Emails belästigte! Fürchterlich schleimigen Schreiben, in denen sie den Superkrimiblogger als „du oh meine Sinnesdroge!“ anhimmelte, ihm ALLES in Aussicht stellte, „was deine schmutzige Phantasie sich nur ersehnt! Komm, ich bin bereit!“. Und niemals vergaß die „Dame“, auf ihr neuestes Werk der minderen Kriminalliteratur hinzuweisen, zumeist etwas aus der Ecke „Apfelweinkrimi“, dafür war sie die in allen Rezensentenstuben gefürchtete Spezialistin, mit dieser kriminalistischen Witzfigur Leichnam oder wie der hieß. Und Wickius? Der las die Mails mit größtem Genuss! Dem schwebten die roten pochenden Herzen wie Seifenblasen aus dem verklärten Geäug! Also sinnbildlich jetzt. Dabei sah die „Dame“ aus wie der personifizierte Flyer eines Schönheitschirurgen! Was fand er nur an ihr? – Sie riss sich zusammen und las weiter. Mit diesem Flittchen würde sie noch früh genug abrechnen.

„Astrid Paprotta = Angela Merkel, Bundeskanzlerinnen-Darstellerin
Norbert Horst = Günter Grass
Oliver Bottini = Georg Patzer
Wolf Haas = Wolfgang Niedecken
Leonie Swann = Dolly Buster
Elke Schwab = Oskar Lafontaine
Dolly Buster = Ursula von der Leyen
Anne Chaplet = Anne Chaplet“

Weitere Namenspärchen folgten, doch der Beller waren die gelesenen schon zuviel.

„Was soll denn DAS?“ stöhnte sie auf, und Wickius antwortete lapidar:

„Es handelt sich bei den Namen vor dem Gleichheitszeichen um mehr oder weniger bekannte deutschsprachige Krimischaffende, bei den Namen nach dem Gleichheitszeichen um Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft. Auffällig sind drei dieser Paarungen, da sie vom Schema abweichen. So ist eine berühmte Schafskrimischreiberin eine ebenso berühmte Ex-Pornodarstellerin, diese hinwiederum, da auch als Krimischaffende tätig, eine berüchtigte Mutter von sieben Kindern. Und Anne Chaplet ist Anne Chaplet. Das gibt zu denken.“

„Wieso IST?“ fragte die Beller verständnislos, „nur weil da ein IST ist?“

„Berechtiger Einwand“, lobte Wickius. „Das Gleichheitszeichen drückt einen wie auch immer gearteten Zusammenhang aus, soviel scheint klar. Aber welchen? Dass Horst Eckert Stress mit dem Oberbürgermeister von Düsseldorf hat, steht fest. Aber heißt das etwa, Astrid Paprotta habe Stress mit der Bundeskanzlerin? Oder nehmen wir die Reihe Bottini = Patzer. Patzer, der bekannte Kritiker, mag Bottini, den bekannten Krimischaffenden, nicht. Heißt das nun, Wolfgang Niedecken habe den Hass auf Haas? Moment...noch eine Unregelmäßigkeit. Jan Seghers = Dreigang-Damenfahrrad. Ein Dreigang-Damenfahrrad ist keine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, es sei denn, es befindet sich unter dem gedopten Hintern einer solchen. Hingegen die Reihe „Ani = Ratzinger“, die leuchtet ein, denn Ani schreibt unbestreitbar wie ein unter schlechte bewusstseinserweiterende Substanzen gesetzter Kirchenfürst. Und auch „Schwab = Lafontaine“ macht Sinn. Erstere ist eine notorisch untalentierte Kleinkrimischaffende aus dem Saarland, letzterer ein ebenfalls aus dem Saarland stammender, notorisch untalentierter Großpolitikerdarsteller.“

Und diese Anobella, dachte die Beller grimmig, kleidet sich genauso geschmacklos wie die Roth. Wohlweislich behielt sie das aber für sich.

Jetzt, im heißen Sud, versuchte Wickius auch seine Gedanken zu reinigen, einen roten Faden zu finden. Gab es überhaupt einen? Warum mussten die immer rot sein? Wie war „der Unfassbare“ in den Besitz der Liste gekommen? Was hatte er damit vor? Besaß sie eine solche Brisanz, dass man einen Menschen kaltblütig dafür tötete? Fragen. Wo aber blieben die Antworten?

Als die Badezimmertür geöffnet wurde und Anna Beller mit einem „Huch! Ist das peinlich! Ich wollte auch gerade in die Wanne!“ vor ihm stand – nackig selbstredend -, konstatierte Wickius mit nicht geringer Freude, dass das ZÖLIBAD bereits Wirkung zeigte und ihn der betörende Körper der Kommissarin nicht im Geringsten zu orgiastischen Ausschweifungen animierte. Er zog die Beine an, es wurde eng in der Wanne, Anna Beller kicherte und fragte nach dem Quietscheentchen.

Wickius ignorierte diese anrüchige Bemerkung, zumal da, wohin die Beller nun ihren Blick richtete, nie und nimmer ein Quietscheentchen sein konnte. Stattdessen fragte er leise und mit resignierter Stimme:

„Wer diesmal?“

Die Beller sackte in sich zusammen.

„Dieser eine da. Der wo nicht ICH sagt, aber seine Abenteuer immer aus der Ich-Perspektive...hat auch schon Krimipreise abgeräumt, aber mir fällt der Name nicht ein.“

„Ach so“, bestätigte Wickius, „der da. Naja.“

Er wusste natürlich – und die aufmerksame Leserin, der aufmerksame Leser weiß es ebenfalls – dass Anna Beller unter einer seltenen Erkrankung litt. Sie fühlte sich innerlich von Protagonisten aus Kriminalromanen bedrängt, die in ihrer krimifreien Zeit nichts besseres zu tun hatten, als der Beller imaginär an die Wäsche zu wollen. Anna wiederum nahm dies zum Anlass, sich die Wäsche des Wickius genauer zu betrachten – während er sie trug – oder nicht, wie jetzt.

„Nun“, fuhr Wickius fort, „du bist spät heimgekommen. Gabs noch was?“

Die Beller lachte auf. Ja, etwas sehr Komisches. Einen Mordfall. Im Viertel, in dem auch Kammerer, der Polizeioberrat, residierte, intern das „Piekfeinghetto“ genannt. Wickius, der Kammerer hasste wie nur Kammerer Wickius hasste, verzog angewidert das Gesicht.

„Gaaaanz komisch, Horatio! Zwei Häuser von Kammerers Domizil entfernt wurde die Leiche des Wohnungsinhabers aufgefunden. Mit einem Damenhöschen erdrosselt! Seine Frau hat erzählt, das mit den Damenhöschen sei ein Tick ihres Mannes gewesen, der habe die gesammelt, aber nur Höschen von prominenten Frauen. Und das da um seinen Hals habe einmal Zarah Leander gehört, der Diseuse aus dem Dritten Reich.“

„Hm“, machte Wickius, „das erinnert mich an einen Roman, in dem das Höschen einer Filmschauspielerin eine gewisse Rolle spielt.“

Zum dritten Mal verdrehte die Beller ihre Augen.

„Kann ja sein“, sagte sie unwirsch und beschaute sich die Erhebungen ihrer Knie, die wie Vulkaninseln aus dem öligen Meer ragten. „Wir haben jedenfalls die Alte von dem ins Gebet genommen und sie hat nach fünf Minuten gestanden. Eifersucht. Frust. Ein Mann, der die Höschen anderer Frauen sammelt! Kann man verstehen.“

Wickius hörte nicht mehr zu. Eine Idee schälte sich in seinen Überlegungen aus all dem Wirrwarr, die Vorahnung einer Gefahr, nein, die Gewissheit, es im Falle der Liste und ihres getöteten Besitzers mit einer Affaire von gigantischen Ausmaßen zu tun zu haben – und dahinter ein nicht minder gigantisch großes Gehirn, das Gehirn eines Irren, eines Genies, des personifizierten Bösen.

Gedankenverloren streichelte er seine Knie, geriet irrtümlich an die der Beller, die träumerisch die Augen schloss und sich immer tiefer ins heiße Wasser gleiten ließ. In diesem Moment klingelte das irgendwo in der Wohnung deponierte Handy. „Stairway to Heaven“, das Intro auf der akustischen Gitarre. Seufzend sprang Anna Beller aus dem Wasser, lief tropfnass über den Flur, keine Frage, wer das würde aufwischen müssen. Wickius schloss die Augen und schlief ein. Der von Anna Beller ausgestoßene Schrei drang wie durch Watte in sein Bewusstsein...

Während sich die geneigte Leserschaft fragt, welche Bedrohung Anna Beller zu diesem Schrei veranlasst hat (hat sich etwa der notorische Nervenkitzler Cliff Hänger unerlaubterweise Zutritt zur Wohnung verschafft?), kann sie auch gleich folgende Fragen beantworten: In welchem zeitgenössischen Kriminalroman spielt das Höschen einer Prominenten eine nicht unbedeutende Rolle? Wie heißt diesmal der Krimiheld, der Anna Beller sexuell belästigt – und welcher verantwortungslose Autor hat ihn erfunden? – Für Giorgio, den eigentlich völlig überflüssigen Assistenten der Beller, noch eine Zusatzaufgabe: Was hat es mit dieser Geheimtinte auf sich?
dpr

4. Juni 2007

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