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Van Gogh bekommt sein Ohr zurück

Ganz frisch aus der Feder. nach einem Zahnarztbesuch. Ein Romananfang. Zum Lesen, zum Begutachten, zur Kritik, zum Abschuss freigegeben.

Endlich hat sich der Künstler selbst in den Halbkreis begeben, einen Halbkreis, den etwa zwanzig Männer und Frauen bilden, Männer und Frauen jeden Alters, alle mit ein Sektglas in der Hand, der Künstler steht vor dem Bild, das auch auf der Einladung zur Vernisage abgedruckt ist, Van Goghs Selbstbildnis, das mit dem Verband, aber Van Gogh lächelt.

Alle lächeln auf den neuen Bildern des Künstlers. Sogar der Mann (oder ist es eine Frau?), der bei Edvard Munch einen Schrei ausstößt, hier lächelt, nein, lacht er. Die Mona Lisa ist nicht dabei; die lächelt ja schon auf dem Original. Und auf die Idee, die Mona Lisa eben traurig sein zu lassen, ist der Künstler nicht gekommen, die Serie heißt schließlich „Sie lächeln alle. Porträts der klassischen Malerei, optimistisch gesehen“, das klingt etwas akademisch, hat der Galerist zuerst kritisiert, aber jetzt schwenkt sein Blick über die südliche Längsseite des Raumes, sieben großformatige Gemälde und an dreien klebt schon der rote Punkt. Der rote Punkt bedeutet: verkauft.

Der Künstler im Halbkreis hält ebenfalls ein Sektglas in der Rechten, es ist aber Orangensaft darin. Er wartet, bis das Tuscheln der Menschen, die den Halbkreis bilden, aufgehört hat. Er räuspert sich, er lächelt immer noch, aber sobald er den Mund öffnet, wirkt er sehr ernst. Er begrüßt die Gäste mit tiefer Stimme, drei oder vier Honoratioren zuerst, dann dankt er dem Galeristen und seiner Vorrednerin, der jungen Doktorin der Kunstgeschichte, die das rednerische Entree gemacht hat, eine etwas lange, etwas zu gelehrte Einführung in die Idee des Künstlers, alle Klassiker lachen zu lassen, sogar den Schreienden (oder die Schreiende) von Munch, das sei quasi ein Tabubruch, ein bewusstes Abgleiten in die Trivialität, und dann ist sie dort, wo sie hinwollte, bei der Trivialität eben, bei der Fallhöhe von Kunst im Allgemeinen und den Klassikern der Malerei im Besonderen. Etwas länglich, wie erwähnt.
Nachdem der Künstler die Gäste begrüßt hat, macht er eine kleine Pause und sagt dann: „Van Gogh. Van Gogh hat sich, in einer Lebenskrise, ein Ohr abgeschnitten. Da gibt es eigentlich nichts zu lachen. Aber bei mir lacht Van Gogh. Warum?“ Eine der Frauen am Rande des Halbkreises lacht jetzt auch. Sehr dezent, kurz, aber sie lacht, und der Künstler nickt ihr aufmunternd zu.

Der Künstler will nun fortfahren, Van Gogh lache, weil man den Schmerz, den existentiellen Schmerz, der ja nicht wehtut, nein, alles um einen herum tut weh, man bade geradezu im Schmerz der anderen, Van Gogh also lache – weil er dies erkannt habe. Den Schmerz der anderen, den er als Künstler wahrnimmt und weglacht, ein Ohr hat er dafür geopfert. So will der Künstler fortfahren, aber er kommt nicht mehr dazu.

Denn das Licht wird langsam heruntergedimmt. Zunächst fällt das gar nicht auf, auch nicht dem Galeristen, dem es eigentlich auffallen müsste, denn nur er ist befugt, die Lichtverhältnisse der jeweiligen Stimmung anzupassen. Es ist jetzt halbdunkel, was zum Halbkreis passt. Ein Geräusch, das auf die Menschen zukommt, Schritte auf dem Steinfußboden, und die Leute drehen sich um. Vier oder fünf beginnen zu kichern, zwei klatschen in die Hände, aber auch nur dezent. Der Engel kommt näher, er will durch die Menschen, die den Halbkreis bilden, und die Menschen machen ihm eine schmale Gasse, eine Frau bleibt bewegungslos stehen, wird aber von ihrem Nebenmann leicht am Ellenbogen berührt, dann tritt auch sie einen Schritt zurück für den Engel.

Der Engel hat ein langes weißes Gewand an und Flügel auf dem Rücken. Langes blondes Haar, ein ebenmäßiges, vielleicht noch nicht einmal volljähriges Gesicht. Mittelgroß, wird man sich später erinnern, mittelgroß und barfuß, englisch halt, aber: Um die Taille des Engels liegt eng ein breiter schwarzer Gürtel, in diesem Gürtel steckt ein Hammer, ein gewöhnlicher Hammer zum Heimwerken. Und in der Rechten hält der Engel ein langes Messer.
Der Künstler ist erstarrt. Er weiß nichts von einer Performance, aber ihm kanns egal sein, das macht der Galerist, nur sagen hätte er es ihm können, aber der Galerist weiß auch nichts von einer Performance, was aber der Künstler nicht ahnt, der nun lächelt, als der Engel ganz nah zu ihm tritt, die linke Hand zu seinem Ohr führt, leicht an ihm zieht, es festhält, die Rechte hebt, die Rechte mit dem Messer, und dann geht alles sehr schnell, niemand wird sich an Details erinnern können, später, auch nicht an die Geräusche, die es doch gegeben haben muss, als die Klinge das Ohr vom Kopf trennt, wohl aber an die Geräusche, die es natürlich gibt, als der Engel – er hat den Hammer aus dem Gürtel gezogen – das abgeschnittene Ohr auf die Leinwand des lachenden Van Gogh drückt, dorthin, wo Van Goghs Ohr war, dann das Ohr mit dem Messer an der Stelle fixiert, den Hammer hebt und nach vier Schlägen wieder sinken lässt, auch der andere Arm hängt jetzt schlaff herunter, das Ohr aber, vom Messer durchbohrt, ist wieder bei Van Gogh, die Proportionen stimmen nicht ganz, das Perspektivische lässt zu wünschen übrig.

Der Künstler liegt auf dem Boden, er blutet und schreit. Auch andere beginnen zu schreien. Gehört das zur Performance? Ja, nicht? Technisch sehr clever gemacht, ausgeklügelt, elaboriert, wie man so sagt, das Ohr ist etwas aus Plastik oder Wachs oder was auch immer, der Künstler hat ein paar Kubikzentimeter Blut hinter seinem Ohr versteckt gehabt – im Theater machen sie das auch, man überzieht das mit fleischfarbener Hülle -, jetzt sieht es so aus, als blute er wie ein Schwein, und er schreit dazu. Sehr schön.

Natürlich abstoßend. Widerwärtig. Blitzlichter, die örtliche Presse, die sich freut wie gewöhnlich nur über den Sekt und die Schnittchen. Geschickt hält der Künstler sein rechtes Ohr zu, er drückt seine Hand dagegen, zwischen den Fingern sickert noch immer Blut durch. Erst als ihn das Schreien, das sich auf dem Boden Wälzen erschöpft hat, nimmt er die Hand vom Ohr, und das Ohr ist nicht mehr da. Jetzt merken die Menschen, die den Halbkreis gebildet haben, der schon lange kein Halbkreis mehr ist, dass dieses Ohr an der Leinwand hängt, befestigt mit einem Messer, einer blutbeschmierten Klinge, und auch das, was über die Leinwand abwärts mäandert, muss Blut sein, so rot wie es ist, so träge und schlierig wie es fließt. Eine Frau fällt in Ohnmacht, irgendjemand ruft den Notarzt. Der Mann, der vorhin die Frau, die keine Gasse bilden wollte, dazu gebracht hat, einen Schritt zurück zu treten, geht auf den Engel zu, nimmt ihm den Hammer aus der Rechten, schiebt den Engel ein wenig vom Tatort, unschlüssig aber, wohin eigentlich. Er weiß nur, dass er noch Ärger bekommen wird, großen Ärger.

dpr

27. Juni 2007

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