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Langer Anlauf

Wenn unsereiner die 150-Seiten-Marke glücklich überschritten hat, weiß er: Es ist an der Zeit, den Sack zuzumachen. Andere machen ihn da erst auf. Val McDermid beispielsweise, dessen neuestes Opus "Schleichendes Gift" mir gerade beim Einschlafen hilft. Na schön: Wer an die 540 Seiten zu füllen hat, muss es langsam angehen. Soll auch keine Verdammung der dickleibigen Bücher sein, aber überlegenswert ist es doch, wie sich hier zwei Auffassungen gegenüberstehen: Opulenz versus Askese.

Nach knapp 170 Seiten McDermid hat der Leser eine Menge Informationen gespeichert. Er kennt sämtliche Abgründe der einzelnen Figuren des Ermittlerteams, manche lassen ihn ratlos zurück, da sie sich offensichtlich auf Bücher beziehen, die er nicht gelesen hat, aber wohl noch lesen sollte, wenn es nach der Autorin und ihrem Verlag geht. Die "Serie" als Kundenbindungsinstrument, wenn möglich auch noch in der richtigen Reihenfolge.

Wirklich "passiert" ist bisher wenig. Ein Fußballstar ist vergiftet worden, aber da kommt laut Klappentext noch einiges auf uns zu. Leserin, Leser weiß immerhin, wie es in der Wohnung einer Zeugin aussieht, die, man darf davon ausgehen, im weiteren Verlauf der Handlung keine überragende Rolle mehr spielen wird.

"Sie kamen in einen wunderbaren Raum, der die ganze Breite des Hauses einnahm. Weiche Lesersofas und Sitzsäcke waren anscheinend wahllos verteilt, dazwischen standen niedrige Holztischchen mit Zeitschriften, Zeitungen und leeren Aschenbechern. An drei Wänden standen Regale mit CDs und Schallplatten, die wenigen Lücken dazwischen waren mit einer eindrucksvollen Stereoanlage..." uswusf. Nennt man das Fotorealismus? Vielleicht. Kino mit anderen Mitteln, die Kamera schwenkt langsam durch den Raum? All das. Aber noch mehr. Etwas Grundsätzliches.

Autorinnen wie Val McDermid brauchen diesen langen Anlauf, um ihrer Leserschaft möglichst plastische Bilder von Personen zu vermitteln. Auch die anzitierte Beschreibung der Wohnung dient diesem Zweck. Hier, so sagt das, wohnt ein Mensch aus Fleisch und Blut, so wie alle Menschen in solchen Romanen aus Fleisch und Blut zu sein haben, Figuren, in die sich der Leser "einfühlen" soll. Zu solchen Charakteristika gehört neben akkurater Beschreibung der Inneneinrichtung selbstverständlich auch die genaue Analyse des Innenlebens der Figuren. Bereits auf Seite 170 wissen wir, dass uns Tony Hill, einer der beiden Protagonisten, Psychologe auch noch, am Ende mit all seinen Zwängen und Traumata wie ein offenes Buch präsentiert worden sein wird. Wir erfahren nicht nur, was er tut, nein, auch warum er es tut. Tony Hill ist Tony Hill, ein Individuum, und manch Kritiker wird Val McDermid gerade für dieses Einfühlsame, dieses in jeder Hinsicht Plastische, Fotorealistische loben.

Man ahnt es: Ich nicht. Nicht weil ich solche Taktiken in Bausch und Bogen ablehnen würde. Nein, es ist eine legitime Strategie. Aber sie langweilt mich. Die Forderung, ein Autor habe gefälligst "richtige Menschen" nachzubilden, "realistische Charaktere", ist so alt wie die Literatur und in ihrer Nachdrücklichkeit auch genauso irrig.

Wie man es auch machen kann, lasse man sich von Ross Thomas verraten, dessen "Am Rand der Welt" ebenfalls zu meiner derzeitigen Lektüre gehört. Die Parallelen zu McDermid erscheinen zunächst offensichtlich: Ebenfalls ein dickes Buch (ca. 400 Seiten), ein langer Anlauf, bevor die Handlungskurve ansteigt, eine Gruppe von fünf Menschen, die zusammen agieren. Aber welch ein Unterschied im Detail! Wohl ist uns das Hauptpersonal auch aus den Vorgängerromanen bekannt, man braucht sie indes nicht zu lesen, um die gelieferten Informationen adäquat verarbeiten zu können (sollte es aber dringend). Jede der Hauptpersonen wird beschrieben, selbstverständlich, doch wie scharf konturiert und vage zugleich! Man hat zu tun, wenn man dieses Buch liest, eine Menge zu tun, die Geschichte entwickelt sich und ist doch vom ersten Augenblick an auch eine zweite Geschichte, in der die Personen für etwas anderes stehen als das, was sie zu sein vorgeben. Das ist auf eine andere Art und Weise "realistisch" und nicht per se "besser". Bei Thomas kommt es auf die Interaktion der Personen an, auf das, was sie als Gesamtheit darstellen. Dies wiederum ergibt ein Modell für das, was im Hintergrund kaum fassbar, immer nur angedeutet lauert: eine komplexe politische Konstellation.

Der Leser, die Leserin wird sich hier mit den Personen nicht identifizieren können, denn sie sind nicht "real", sie werden uns niemals auf der Straße begegnen, wir schauen nicht in ihre Köpfe und wenn wir es doch tun, bleiben wir ratlos zurück. Die Informationen werden nicht durch einen quantitativen Overkill transportiert, sie müssen vom Leser in einem kreativen Akt zu dem zusammengesetzt werden, was "Wissen" genannt wird.

Nichts gegen Val McDermid. Sie wird mich bis zum Ende hoffentlich nett unterhalten. Ross Thomas aber spielt in einer anderen Liga. Einer ganz anderen.

dpr

26. November 2008

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