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Selma Mahlknecht: Es ist nichts geschehen

Kleiner Werbespruch gefällig? – Bitteschön: ACHTUNG! Dieses Buch legt Ihre Nerven blank! Vergessen Sie die üblichen Blutfestspiele! Denn in diesem Buch passiert – nichts! Na, das ist jetzt dick aufgetragen, aber wie soll man sonst jedermann zuposaunen, dass auch in Texten, die ganz sicher nicht "für das Genre" geschrieben wurden, manchmal mehr Genre steckt als dort, wo einem das Wort "Thriller" schon von weitem lüstern entgegenlacht?

Bess und Sandy sind zwei reichlich neurotische Schwestern. Die eine am Ende ihrer Teenjahre, die andere ein wenig älter. Ihre Mutter ist bei Sandys Geburt gestorben, jetzt leben sie allein zusammen. Einzige wirkliche Bezugsperson ist die Großmutter. "Oma" nennen sie die nie, nein, es ist eben "die große Mutter", und wir werden noch sehen, was das bedeutet. Die Großmutter selbst lebt mit ihrem behinderten Bruder zusammen.

Aus den Perspektiven dieser drei Frauen entwickelt sich die Handlung. Distanziert, dritte Person Singular, wie aufgeschrieben. Und so ist es auch. Die Großmutter erzählt, wie sie aufwuchs – in einem landwirtschaftlichen Haushalt mit lieblosem Vater und den vier Brüdern, wie dann einer kam, der sich aus dem Elend gerettet hat, indem er sie heiratete, aber geheiratet hat er sie eigentlich nur, damit sie ihm ein Kind schenkt, eine Tochter. Die Mutter hasst ihre Tochter.

Und sie liebt ihre Enkeltöchter. Denen geht es nicht gut. Die eine, Bess, bewirbt sich um Arbeit, bekommt aber nur unbezahlte Praktika angeboten. Die andere, Sandy, schafft den Sprung – vorerst. Sie verdingt sich als Zimmermädchen in einem Hotel, doch das endet mit einem Selbstmordversuch. Wieder daheim, versucht sie sich daran, die Lebensgeschichte ihrer Großmutter aufzuschreiben, ein ideales Geschenk zu deren Geburtstag. Doch was sie aufschreibt, ist falsch, wir erkennen es aus den parallelen Aufzeichnungen der Großmutter.

Eigentlich ist alles falsch in dieser Beziehung. Jede der Beteiligten weiß das, doch keine redet darüber, weil ja, siehe Titel, "nichts geschehen" ist. Ganz banaler Alltag, ein von Schauspielern geführtes Leben.

Selma Mahlknecht, eine junge südtiroler Autorin, arbeitet von Anfang an mit dem, was jeder herkömmliche Kriminalroman unter "Suspense" versteht. Ein Geheimnis liegt über dieser Familie, möglicherweise ein schreckliches, gar "strafrechtsrelevantes". Was wir aber lesen, sind die Folgen daraus. Wir werden zu Voyeuren, die das erbärmliche Leben der Großmutter als billige Arbeitskraft, Sexualobjekt (möglicherweise schon früh in der Familie – das jedenfalls wird angedeutet) und Einweg-Gebärmaschine begaffen, wir verfolgen, wie sich diese Gewalt von außen zur inneren Destruktion wandelt, auf die nächste, die übernächste Generation überträgt.

Genau an diesem Punkt erkennen wir, dass Kriminalliteratur, selbst wenn sie keine ist oder sein soll, nicht den großen Effekt benötigt, um zu schockieren. Im Gegenteil. Es kommt in dieser Geschichte nicht zu starken emotionalen Ausbrüchen, man kennt die Wahrheit, man nähert sich ihr schriftlich, in nie abgeschickten Briefen, mühsam verfassten Familienchroniken. Selbst die sich am Ende häufenden Tötungsdelikte werden zu Nebensächlichkeiten, denn das wahre Verbrechen ist ja nicht justitiabel, diese seelische und körperliche Knechtung von Frauen, die das, was ihnen widerfahren ist, an ihresgleichen weitergeben, als handele es sich um eine Sammlung von Kochrezepten. Es ist die Beiläufigkeit, fast Selbstverständlichkeit, mit der erzählt wird, die den Schrecken noch zu steigern vermag.

Doch, das ist sehr beeindruckend. Einschränkung: Die zwischendurch gewährten Einblicke in die Gedanken der Protagonistinnen, meist kurze, kursiv abgesetzte Sätze. Hätte es nicht gebraucht. Was hier erklärt wird, erzählt sich in dieser Geschichte eigentlich von selbst. Kein Krimi. Ein Krimi. Auf jeden Fall: ein starker Text.

dpr

Selma Mahlknecht: Es ist nichts geschehen. Edition Raetia 2009. 195 Seiten. 19 €

29. April 2009

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