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Manfred Wieninger: 223 oder Das Faustpfand

223.jpg223. Eine Zahl, hinter der sich alles verstecken kann. 223 "Likes" bei Facebook, 223 Versuche, die Eurokrise zu bewältigen, 223 saftige Leichen in einem hammerharten Krimi. Oder auch, bleiben wir beim Kriminellen: 223 Menschen, Frauen wie Männer wie Kinder wie Alte, nachts durch eine österreichische Ortschaft getrieben, zu einem Graben, in einen Graben, dann hallen Schüsse durch die Nacht, dann gießt man Benzin über die Toten und Sterbenden, dann ziehen Brand- und Leichengeruch durch die Ritzen der Häuser. Es ist Anfang Mai 1945. Die Russen sind nur noch wenige Kilometer entfernt, man hört schon die Kanonen, man sieht die "Christbäume", mit denen alliierte Kampfbomber sich die besten Plätze für ihre tödliche Fracht aussuchen. Sonst geht das Leben irgendwie weiter. Auch für den Revierinspektor Franz Winkler aus Persenbeug an der Donau. Doch als er an diesem Morgen nach dem Massaker an 223 Juden erwacht und zum Tatort kommt, ändert sich alles. – Und gleichzeitig ändert sich nichts.

Manfred Wieninger nennt sein Buch "223 oder Das Faustpfand" lapidar einen "Kriminalfall". Es ist das, was man True Crime nennt, 223 Tote auf einen Schlag, und dass man Tote noch einmal umbringen kann, indem man sie totschweigt, das ist nichts Neues, aber dann kommen Autoren wie Manfred Wieninger und lassen die Toten sprechen. Sie sprechen aus den Akten dieses Falles, aus Zeugenaussagen, aus Protokollen des Revierinspektors Franz Winkler, zusammengehalten wird das von der Fiktion, die Wieninger aus diesen Akten und seinem schriftstellerischen Vermögen schöpft. Über letzteres brauchen wir nicht groß zu reden, es ist beachtlich. In seinen Marek-Miert-Kriminalromanen lauert die Wirklichkeit hinter der Fiktion, in "223 oder Das Faustpfand" springt sie uns an.

Dass man Juden tötete, gehörte auch zum Ende des Krieges, als sich alles bereits in Auflösung befindet, zum Alltag des Systems. Es war eine Art Zeugenbeseitigung, eine brachiale Art jener "Vergangenheitsbewältigung", mit der man sich in den Folgejahren meist ziemlich erfolgreich aus der Affäre zog. Wieninger berichtet nun genau aus dieser Übergangszeit – und er berichtet schier Unglaubliches. Dieser Franz Winkler, der kein Held ist, eher ein Untertan, ein Befehlsempfänger und –ausführer, er macht seine Arbeit und leitet Ermittlungen gegen die Mörder, gegen die SS ein. Gut, was ihn antreibt, ist Angst. 223 tote Juden und die Russen vor der Haustür, das kann arg werden für die Persenbeuger. Also muss man versuchen, die Schuldigen auszulagern, SS eben, Ortsfremde. Der Plan geht auf. Es kommt zwar zu Prozessen, aber verurteilt wird niemand. Das Besondere hier aber: Auch nach dem Krieg bleibt Franz Winkler, der anscheinend nie über den Rang eines Inspektors hinausgekommen ist, engagiert. Dass der Fall 1963 noch einmal aufgerollt wird, ist sein Verdienst. Es muss also mehr gegeben haben als reine Routine, als den Reflex der Reinwaschung, im Grunde ist dieser Winkler schizophren, ein Weißwäscher, der sich irgendwie nicht damit abfinden kann, dass weißgewaschen wird.

Wieninger erzählt uns das einfach. Den Winkler will er uns ebenso wenig moralisch explizieren wie all die anderen, den Fotografen etwa, der beim Fotografieren der Leichen aus den seelischen Fugen gerät, die Bauern, die entweder nichts gesehen haben wollen oder, ganz ohne Attitüde, Widerstand leisten, indem sie flüchtige Juden verstecken. Auch nicht die NS-Bonzen, die Täter und Mitläufer, die Helfer und Wegseher, die Pflichttuer und Etappenhengste, die Ausharrer und Wegläufer. Er beschreibt die Vermischung von Alltag und Grauen, es ist ein nüchternes Buch, nicht ohne Hoffnung, aber eben so nüchtern, wie man schreiben kann, wenn es einen graut. Ein Krimi? Genau das. Ein Krimi auf das reduziert, was ihn letztlich ausmacht. Auf das Leben, wie es in den Akten steht und noch einmal gelebt wird, wenn sich jemand wie Manfred Wieninger des Falles annimmt.

dpr

Manfred Wieninger: 223 oder Das Faustpfand. Residenz Verlag 2012. 236 Seiten. 21,90 €

15. Mai 2012

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