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Die Braut im Worthülsenbett

Die ersten Seiten eines Buches sind seine Visitenkarte. Kaum ein Autor, dem dies nicht bewusst wäre, der nicht daran feilte, bis er überzeugt ist, damit jeden Leser ohne Verzögerung in die Geschichte zu ziehen, ihn an sie zu fesseln, bis ihn die letzte Seite wieder ausspuckt. Man sieht den ersten Seiten eines Buches in der Regel nicht an, ob ihr Verfasser ein guter, gar ein großer Schriftsteller ist. Ist er aber ein schlechter oder allenfalls mittelmäßiger, verraten ihn die ersten Seiten seines Werkes unfehlbar.

Womit wir bei Jan Seghers und seinem Kriminalroman „Die Braut im Schnee“ wären. Seghers, der eigentlich Matthias Altenburg heißt und als solcher nach →eigenem Bekunden „Kunst-Literatur“ verfasst:

„Ich unterscheide grundsätzlich zwischen dem Kriminalroman, also dem Schreiben in einem Genre, und Kunst. Für mich ist das Schreiben eines Kriminalromans ein kunstvolles Handwerk. Natürlich kann ein Kriminalroman kunstvolle, künstlerische Elemente haben. Aber da ich auch die andere Seite kenne, weiß ich, daß ich für 500 Seiten Kunst etwa zehnmal so lange brauche wie für 500 Seiten Krimi. Man konzentriert sich viel stärker auf den Inhalt und auf die Handlung als auf das Sprachlich-Formale. Die Übergänge sind fließend. Der Krimi hat die gesamten Versatzstücke der Moderne übernommen - den schnellen Schnitt, den Perspektivwechsel, den inneren Monolog.“

Einiges an dieser Aussage ist unzweifelhaft korrekt, vor allem der letzte Satz mit den Versatzstücken der Moderne, wobei man vielleicht noch hinzufügen könnte, dass die Befruchtung durchaus auch in die andere Richtung gewirkt hat. Und natürlich kann man das Schreiben eines Kriminalromans „kunstvolles Handwerk“ nennen, kann für „500 Seiten Kunst etwa zehnmal so lange“ veranschlagen wie für 500 Seiten Krimi. Interessieren soll uns hier nur der Satz: „Man konzentriert sich viel stärker auf den Inhalt und auf die Handlung als auf das Sprachlich-Formale“. Auch an diesem Satz ist zunächst nicht viel auszusetzen, zumal dann nicht, wenn man die Krimiproduktion eines auf das Sprachlich-Formale fixierten Blickes würdigt und erkennen muss, dass hier tatsächlich nur bei wenigen AutorInnen von befriedigender Umsetzung die Rede sein kann.

Andererseits: Bisher glaubte ich, ein Autor von „Kunstliteratur“ konzentriere sich sowohl auf Inhalt, Handlung als auch das Sprachlich-Formale. Und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass ein solcher Autor, wenn er seinen nom de plume anlegt und Krimis schreibt, plötzlich ein anderer wird und auf das Sprachlich-Formale mehr oder weniger pfeift. Nein, ich kann es mir immer noch nicht vorstellen, dass jemand, dem man doch ein von Natur aus höheres Sprachniveau unterstellen muss, dieses ohne Not unterschreitet. Schön; „zehnmal so lange“ braucht die Kunst, und man kann sich vorstellen, in welchem Tempo Herr Seghers Krimis schreibt. Aber dennoch: Reicht diese Hast, sich selbst zu verleugnen? Betrachten wir den Anfang von „Die Braut im Schnee“.

„Als die Zahnärztin Gabriele Hasler am Nachmittag des 11. November hörte, wie ihre Sprechstundenhilfe die Praxistür hinter sich ins Schloss zog, wurde sie, wie schon mehrfach in den vergangenen Tagen, von einer unerklärlichen Unruhe erfasst.“

Das ist kein brillanter Eröffnungssatz, sprachlich bedenklich („mehrfach in den vergangenen Tagen“ – „unerklärliche Unruhe“), inhaltlich vollgestopft mit Hülsen, die der Leser schlucken soll, weil sie ihm guttun. Frau Hasler ist also schon des öfteren unruhig gewesen in den vergangenen Tagen und kann es sich nicht erklären. Das nenne ich einen Placebo-Satz. Du steckst ihn in den Mund, zerkaust ihn, weil er dir gute Wirkstoffe verspricht, aber in Wahrheit sagt er dir nichts, behauptet nur, so etwas wie eine "Befindlichkeit" der guten Zahnärztin zu umschreiben. Zweiter Satz.

„Im Vorübergehen schaute sie kurz in den Spiegel und fand, wie so oft in letzter Zeit, dass sie zu alt aussah für ihre gerade noch neunundzwanzig Jahre.“

Wieder Placebo. Das Versatzstück „wie schon mehrfach in den vergangenen Tagen“ ist zu „wie so oft in letzter Zeit“ geworden und abermals wirft Seghers seinen Lesern die Inhaltsschwere genussfertig in den Mund: Sie sieht zu alt aus. Aha. Dritter und letzter Satz des ersten Abschnitts:

„’Was ist nur mit mir geschehen?’ dachte sie und war zugleich bemüht, sich diese Frage nicht zu beantworten.“

Ja, und hier hörts auf. Da musste ich mittelschwer lachen, bei dieser Vorstellung, wie eine Zahnärztin in den Spiegel guckt und „Was ist nur mit mir geschehen?“ denkt. Das ist Romanheftniveau à la „Gertrud lag an Siegesmunds Brust und wusste, dass die Liebe ein trügerisch’ Spiel war.“ Deklamatorenprosa, überzogen, sinnleer.
Hier könnte ich schon aufhören, denn eigentlich habe ich jetzt schon aufgehört. Es wird Herrn Seghers nicht gelingen, mich zu packen, und vielleicht versäume ich dadurch einen wirklich spannenden Krimi, aber ich erspare mir, das weiß ich schon jetzt, manche hochgezogene Augenbraue ob des Segherschen Sprachschlendrians. Zwei Sätze noch von Seite 2, die mir dann endgültig den Rest gegeben haben:

„Sie saß auf dem Schreibtischstuhl in der Rezeption, starrte auf die Eingangstür und lauschte. Obwohl sie wusste, dass es keine vernünftige Erklärung dafür gab, hatte sie das Gefühl, nicht allein in der Praxis zu sein.“

Hier wird der Leser abermals mit Sinnschwere zugemüllt, bleibt ihm keine Chance, seine eigene Vorstellungskraft zu entfalten. Alles was in diesem Satz (und den vorhergegangenen) steckt, ist plumpe Informationsprosa, keine Atmosphäre, kein gar nichts. Wir erkennen die Ängstlichkeit, die Unsicherheit der Gabriele Hasler nicht an kleinen Gesten, wie sie ein guter Stilist allemal aus dem Handgelenk schütteln könnte, nein, die Befindlichkeit der Frau Hasler wird uns durch das grobe Sprachmegafon des Autors zugebrüllt, damit wir bloß nicht auf den dummen Gedanken kommen, uns selbst unseren Reim zu machen.

Ich gebe zu, dass ich, hieße der Autor dieses Buches nicht Jan Seghers alias Matthias Altenburg, vielleicht weitergelesen hätte. Einem guten Krimi verzeiht man vieles, einem angeblichen Autor von „Kunst“, der sich zum Krimi herablässt, aber viel weniger, sprachlich eigentlich gar nichts. Ich erwarte von einem Krimi nicht unbedingt sprachliche Virtuosität, aber Schlamperei, Worthülsen, Versatzstücke auch nicht.

dpr

Jan Seghers: Die Braut im Schnee. Wunderlich 2005. 448 Seiten, 19,90 €

21. Dezember 2005

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