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Lee Child: Sniper

Wer sich mit einem Jack-Reacher-Roman auf die Couch fläzt, tut gut daran, alles zu vergessen, was man ihm / ihr bisher über die Qualitätsstandards von Kriminalliteratur der gehobenen Preisklasse erzählt hat. Psychologische Tiefe bei Handlungsführung und Figurenzeichnung etwa, das Ganze schön nah an der Realität, diese mit feinen literarischen Gerätschaften sezierend – all das findet man in den Romanen Lee Childs offenkundig nicht.

Indiana, eine Kleinstadt. Ein Heckenschütze („Sniper“) erschießt, scheinbar wahllos, fünf Menschen in einer Fußgängerzone. Der Mann versteht sein Handwerk, nur als Spurenbeseitiger ist er Dilettant und folglich hat ihn die örtliche Polizei schnell am Haken. James Barr war früher Scharfschütze bei der Army, jetzt sitzt er, von einer lückenlosen Beweiskette schier erdrückt, in Haft, aber auch dort nicht lange. Von Mitgefangenen verletzt, findet er sich mit Gedächtnisverlust im Krankenhaus wieder, seine Unschuld beteuernd und nach Jack Reacher verlangend. Nur – wer ist das?

Jack Reacher, das weiß der Child-Leser, ist jemand, der nicht gefunden werden will. Offizier bei der Militärpolizei gewesen, dann den Dienst quittiert und seitdem kreuz und quer durch die Staaten unterwegs. Nein, man findet ihn nicht – er muss schon selbst aufkreuzen.

Und genau das tut er. Denn dieser James Barr hat schon einmal, während des ersten Irakkriegs, vier Kameraden in Kuwait aus dem Hinterhalt erlegt. Reacher bringt ihn zur Strecke, aus politischen Erwägungen geht Barr indes straffrei aus, doch Reacher schwört Rache. Jetzt ist die Stunde dafür gekommen.

Als Reacher aus dem Bus steigt, betritt er, da ist kein Zweifel möglich, eine Inszenierung. Das tut er immer. Manchmal, wie etwa im „Janusmann“, inszeniert er kräftig selbst mit, doch hier in „Sniper“ wird er selbst Teil eines ausgeklügelten Schauspiels. Das ist nun mitnichten originell; Kriminalliteratur lebt vom Inszenieren der Wirklichkeit, ihr Ziel ist es, diese Inszenierung und ihre Regisseure zu durchschauen. Nicht so bei Reacher. Was immer er tut, er schafft doch bloß weitere Inszenierungen, und auch am Ende steht nicht etwa „die Wirklichkeit“ samt ihres alliterativen Zwillings „Wahrheit“, sondern lediglich die plausibelste Inszenierung, die es Reacher ermöglicht, das zu tun, was er tun muss: die Bösen bestrafen.

Mit Recht hat das überhaupt nichts zu tun, denn Reacher denkt nicht daran, die Übeltäter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Nein, er bringt sie einfach um. Bricht ihnen das Genick, rammt ihnen ein Stemmeisen ins Hirn oder bläst dieses vermittels eines kommentar- und emotionslos aufgesetzten Schusses in die Landschaft.

Zuvor jedoch hat Reacher eine „Koalition der Willigen und Anständigen“ um sich geschart. Das ist immer so. In „Sniper“ sind es die Schwester Barrs, eine Fernsehjournalistin, eine junge Rechtsanwältin, ein Privatermittler, ein Schießstandbesitzer. Sie stürmen die Wagenburg, hinter der sich das Böse verschanzt hat, und räumen auf (manchmal verteidigen sie auch selbst IHRE Wagenburg gegen das Böse, aber das Ende ist immer das gleiche). Fall geklärt, Reacher sagt tschüs und setzt sich in den Bus, einem neuen Abenteuer entgegen.

Das erinnert nicht nur fatal an Western. Der einsame Wolf kommt in die Stadt geritten, wird verwickelt, stellt mit Hilfe der Guten die Ordnung wieder her und reitet nach getaner Arbeit dem Sonnenuntergang entgegen. Nein, diese Ansammlung von Arche- und Stereotypen verweist generell auf die Bestandteile von Kriminalliteratur, bevor diese durch literarische Ausdifferenzierungen „anspruchsvoll“ wurde. Child wirft uns von diesem Anspruch zurück auf das Fundament und er tut es am konsequentesten in der Figur des Jack Reacher selbst.

Dieser nämlich ist von geradezu erschreckender Eindimensionalität. Nicht irgendeine Moral leitet ihn, einzig und allein Rache ist sein Motiv. Im „Janusmann“ bringt er es selbst auf den Punkt: „In Wirklichkeit ist mir der kleine Mann egal. Ich hasse nur die großen Kerle. Ich hasse Schlägertypen. Leute, die andere übervorteilen. Die mit allem durchkommen.“
Das ist ein Credo von ergreifend schlichter Kleinbürgerlichkeit, man stellt sich den Biedermann im Fernsehsessel vor, wie er die Nachrichten ansieht und kommentiert, auf „die da oben“ schimpfend, mit absolutem Desinteresse an „denen da unten“. Seine Welt ist egozentrisch, eine Inszenierung eben, die man sich zu einer anderen, gefälligeren Inszenierung zurecht biegt, in Gedanken jedenfalls, sonst nicht, man ist ja selbst leider kein Jack Reacher, so schön das ja wäre.

Auch Reacher verfährt so. Er entlarvt die Lügen, indem er ihnen eigene Erfahrungen entgegensetzt und zum Schluss kommt, das da könne so nicht sein, weil er, Reacher, es nicht so machen würde. Reacher ist also das Maß aller Dinge und Child rüstet ihn zudem mit dem aus, was eigentlich das Markenzeichen schlechthin für „mindere Kriminalliteratur“ ist: körperliche wie intellektuelle Unbesiegbarkeit, Makellosigkeit, selbst wenn Reacher einen Fehler macht, dann nur, um daraus zu lernen. Am Ende hat Reacher die Anfangsinszenierung aufgelöst, doch nicht, um „die Wirklichkeit“ wieder herzustellen, sondern seine, Reachers Inszenierung zurückzulassen.

Diese Eindimensionalität des Protagonisten führt dazu, dass er, da kein Identifikationsobjekt außerhalb des Spektrums „So einer möchte ich auch sein!“, zum Identifikationsobjekt für alle wird. Rechtslastige Leser delektieren sich an seiner Rücksichtslosigkeit, seinen Waffenkenntnissen, eher zur Liberalität Tendierende identifizieren in Reacher den „unbehausten Menschen“ in einer bösen Welt, der nur mit ihren eigenen Methoden beizukommen ist.

Aber genug. Man kann es auch viel einfacher sehen. Die Reacher-Romane Lee Childs sind verdammt gut geschriebene, schnörkellos geplottete Krimis, der allerorten konstatierte Suchtfaktor ist beträchtlich. Und ganz nebenbei erzählen sie uns eine Menge über die Abgründe des Eindimensionalen.

dpr

Lee Child: Sniper. Blanvalet 2008 („One Shot“, 2005, deutsch von Wulf Bergner). 477 Seiten. 19,95 €

17. April 2008

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