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Thea Dorn: Mädchenmörder

(Unser Azubi Jochen mag die Frauen. Aber mögen die Frauen unseren Azubi Jochen? Wir hegen starke Zweifel. Frau Thea Dorn jedenfalls wird unser liebestrunkener Lehrling endgültig von der Liste der begehrenswerten Objekte für seine grenzenlose Libido streichen müssen. Aber vielleicht betört sein Totalverriss eine unserer Leserinnen? - Wir helfen gerne mit der Telefonnummer unseres notleidenden Jünglings aus!)

Thea Dorn „Mädchenmörder – Ein Liebesroman“, 2008 Manhattan (Wilhelm-Goldmann-Verlag, München)

Als die 19jährige Julia Lenz nach einer Party zu David, dem ehemaligen Radprofi mit finalem Karriereknick, in den gelben Porsche steigt, ahnt sie noch nicht, dass sie einem Vergewaltiger und Serienmörder in die Hände gefallen ist, der sie auf seiner Flucht quer durch Europa schleppen wird. Am Ende stehen zwei Aufzeichnungen dieser von Gewalt, Sex und Mord durchzogenen Entführung: ein für die Öffentlichkeit bestimmtes Manuskript und als dunkles Gegenstück dazu Julias Tagebuchaufzeichnungen, deren Einträge jeweils an ihren Entführer gerichtet sind und mit „Lieber David“ beginnen. Womit wir bei der zentralen Frage wären: ist Julia Lenz Opfer oder Komplizin?

Das wird schnell beantwortet. Denn was entgegnet unsere Einser-Abiturientin auf die Frage, was sie erwidern würde, wäre der Mann, zu dem sie gerade ins Auto gestiegen, ein Vergewaltiger und Serienmörder? „Cool“, sagt sie natürlich. Derart tiefe Einsichten offenbart aber erst der zweite Teil, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Zunächst heißt der „liebe David“ noch „mein Peiniger“ und Julia Lenz fühlt sich offensichtlich wohl in ihrer Opferrolle, auch wenn sie das Gegenteil beteuert.

„Schrecken“, „Horror“, „Liebe“, „Sensation“, „Tabubruch“ schreit das ganze Buch und ist nichts davon. Im ersten Teil ein hibbeliger Reiseroman für Teens, mit Ausflügen in SM - Gefilde, aber immer schön dezent auf Bravo-Niveau, ja nicht in die Tiefe gehend.

Da hat die gebeutelte Heldin Zeit und Muße sich über Shakiras „Hips don’t lie“ seitenlang aufzuregen, Anekdötchen aus Julias Schulalltag werden aufgekocht, bevorzugt solche, die ihre mentale Brillanz beweihräuchern; selbst alte Nonnenwitze werden ausgegraben und als horrible Kellershow präsentiert:

Ein Pilger findet Aufnahme in einem Kloster. Nachts hört er Gequieke und Kreischen aus dem Klosterhof. Als er das Fenster öffnet, sieht er wie sich mehrere Nonnen um ein Fahrrad streiten. In diesem Moment tritt die Oberin in den Hof und herrscht die Nonnen an: „Ruhe jetzt, sonst kommt der Sattel wieder drauf!“.

Bereits im ersten Teil stimmt hinten und vorne nichts. Motivation, Hintergründe? Fehlanzeige. Gut, die „Heldin“ ritzt sich ein wenig die Oberschenkel, ist unzufrieden mit ihren getrennt lebenden Eltern und erzählt liebend gern von ihrer besten Freundin Carina und ihrer Hündin Tinka. Der naive Gestus pubertärer Albernheiten, wie sie Dutzende belangloser Schmonzetten anfüllen. Morde als beiläufige Dreingabe, das Grauen wird nicht fass- und nachvollziehbar, da die Hohlheit der Erzählerin keine Sympathie zulässt und den Opfern jegliches Mitleid versagt bleibt. Nicht zu vergessen die obligatorische, halbherzige Medienschelte (wie soll die auch provokant werden, wenn sich „BILD“ das Buch bereits als Preis für ein Ausschreiben erkoren hat?). Die zur Veröffentlichung bestimmte Abhandlung „Schwarzer_Sommer.doc“ bleibt eine Aneinanderreihung von Plattitüden, miesen Witzen und unausgegorenen Betrachtungen einer schlecht gelaunten Streberin, die das Blinken von Oberflächenreizen für den Stern von Bethlehem hält. Liest sich bestenfalls wie eine miserable Parodie auf Bret Easton Ellis’ „American Psycho“. Missverstanden. Thema verfehlt. 6, setzen.

Aber auch der zweite, intime und offenherzigere Teil „David.doc“ gibt nicht viel her, außer dass das Abschlachten seine graphischen Details bekommt, und der Killer einen Namen, sowie eine rudimentäre Biographie. Zum Psychogramm reicht’s bei weitem nicht, denn der umtriebige Wirrkopf bleibt eine farblose Fiktion: ein mittelmäßiger Radprofi, der verletzungsbedingt sein Fahrrad an den Nagel hängen musste. Das macht ihn angeblich wütend, so wütend, dass er junge Frauen foltern, vergewaltigen und töten muss. Doch außer dem bösen „F…“ Wort, das Julia erst im zweiten Teil ausschreibt, hat er wenig tiefgründiges auf Lager. Das er seine Begleiterin als „Kitsch- und Abifotze“ bezeichnet, zeugt zum einen von mangelnder Phantasie, zum anderen stellt sich die Frage, warum er sich querbeet vom zugedröhnten Hippiemädchen bis zur keuschen Novizin mordet, aber die nervendste Göre von allen unbeschadet davonkommen lässt?

Denn für das Verhältnis zwischen Julia und ihrem Entführer gibt es keinerlei Begründung, kein „Stockholm-Syndrom“, die Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren bleibt statisch, die behauptete Obsession zweier Witzfiguren reicht nie über das „cool“ hinaus, das die intimen Aufzeichnungen einleitet. Das Perfide am Bösen ist oft die scheinbare Banalität, hinter der es sich verbirgt; der „Mädchenmörder“ erliegt dem Fehlschluss, dass die Umkehrung auch funktioniert. Diesmal nicht. Denn die Flachheit der Figuren weist nur auf sie selbst zurück, begleitet sie gelangweilt auf ihrem Trip, durch eine Fassadenwelt der ewigen Behauptungen und Verleumdungen, die Dorn mit Tiefe zu füllen versucht, indem sie ihren Protagonisten selbstreflektierende Referenzen an die Hand gibt. Da wird über reale Serienmörder, insbesondere Marc Dutroux, räsoniert, die schulischen Amokläufe von Erfurt und Emsdetten finden ihren bezuglosen Eintrag und das oben bereits erwähnte „Stockholm-Syndrom“ wird mehrfach angeführt, damit auch der unbedarfteste Leser mitbekommt, wie und wohin der Hase laufen soll. Doch der läuft leider gar nicht. Er steht still. Vor Barbies pinkfarbener Luxusvilla, in der Ken bedrohlich die Kettensäge schwingt, aber nicht mal die Plastikblumen im Vorgarten zersägt bekommt.

SPOILERWARNUNG (muss man so machen, damit das wahnsinnig spannende Finale nach dem Finale nicht zu dem Blindgänger mutiert, der es ist.)!!! Zu allem Überfluss existiert auch noch ein Epilog, in dem Holly Spring (vastehste? Was heißt Lenz auf Englisch? Jenau! Und dann noch „Holly“. Heiliger Wald, äh, Frühling! Cool. Witzig. Gezz weißte auch, warum Mutti auffe Flucht imma am Kotzen war.) in der mittleren Zukunft die Hinterlassenschaften ihrer Mutter entdeckt. Und entsetzt kapiert, warum Mütterlein die Leidenschaft der fünffachen Tour De France Gewinnerin für’s Radfahren nicht teilen konnte. WOW. Obwohl, vielleicht wäre das der Ansatz gewesen, der aus dem „Mädchenmörder“ lesenswerte Literatur hätte zaubern können. Vielleicht auch nicht. Eine Frau. Fünffache Tour de France Gewinnerin. Science Fiction. Definitiv kein Krimi. Parodie???

PS.: Ein Höhepunkt der abstrusen Albernheit, die das ganze Buch durchzieht, findet sich gegen Ende von Part 2: in einem Cameo-Auftritt stilisiert Dorn sich selbst zum Möchtegern-Opfer hoch. Lediglich ihr Alter ließe sie aus Davids Beuteschema fallen, stellt die erzählende, blutgeile Teenagequeen Julia beiläufig fest, bevor unsere „Reiseschriftstellerin“ mit ihrem Berliner Auto entschwindet.

PPS.: Wäre ich Natascha Kampusch, würde ich alle Rezensenten, die meinen Namen in Bezug zu Julia Lenz setzen, wegen übler Nachrede verklagen. Das zumindest hat die Autorin erreicht: blind wird über einen Kamm geschoren, was nicht zu vereinbaren ist. Welche gnadenlose Unbedarftheit maßt sich da ein Urteil über eine reale Person anhand einer klischeetriefenden Fiktion an? Wenn es Dorns Absicht war, zu zeigen, wie leichtgläubig der letzte mediale Mist als Abbild der Realität aufgesogen wird – dieses Ziel hat sie mühelos erreicht.

Jochen König

Thea Dorn: Mädchenmörder. Mannhattan 2008. 336 Seiten. 19,95 €

18. April 2008

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